Bruckner, Anton

Sinfonie Nr. 5 B-Dur

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Coviello 30509
erschienen in: das Orchester 11/2006 , Seite 95

Nach der siebten und der achten Sinfonie erschien nun auch die fünfte Sinfonie von Anton Bruckner auf Coviello Classics mit dem Sinfonieorchester Aachen unter der Leitung des 1969 geborenen Marcus Bosch, der seit 2002 als Aachener GMD positiv Furore macht. In dieser Position ist er Nachfolger illustrer Vorgänger wie Fritz Busch, Herbert von Karajan und Wolfgang Sawallisch. Und auch auf dieser Aufnahme kann man die wertvolle Arbeit hören, die er mit diesem Klangkörper geleistet hat.
Bruckner ist ein Prüfstein für jedes Orchester: romantisches Legato wird gefordert, aber auch plastische Zacken, extreme Wechsel in Dynamik, Tempo und Ausdruck, scheinbar naives Singen und zukunftsweisende Abstraktion, höchste Disziplin ebenso wie sprengende Ausdruckskraft. Das Aachener Sinfonieorchester kann da mit orchestraler Prominenz durchaus mithalten, an der inspirierten Konzentration vor allem der Holzbläser und Hörner, aber auch immer wieder der Streicher kann man sich gar nicht satt hören. Sofern man es überhaupt hören kann – denn die SACD hat eine etwas übertriebene dynamische Spannbreite, manche Pianissimo-Passagen sind mehr zu ahnen als zu vernehmen, ein wenig verschwimmt auch noch im langen Nachhall der Aachener Kirche St. Nicolaus, wo der Konzert-Mitschnitt am 16. Mai 2005 entstand.
Dabei disponiert Marcus Bosch insgesamt durchaus geschickt, die eher gemäßigten Tempi sind wohl der Kirchenakustik geschuldet, die raffinierte Polyfonie jener Sinfonie, die Bruckner als „mein kontrapunktisches Meisterstück“ bezeichnete, wird weitgehend klar, auch wenn vieles ein wenig prägnanter sein könnte. Dass manches Tempo ein bisschen „wackelt“, fällt nicht weiter ins Gewicht, da sich der Dirigent überwiegend genau an Bruckners eigenwillige Vorschriften hält und das Orchester tapfer mithält.
Vor allem wird Bruckners geniale Dramaturgie hier sonnenklar: Die ersten drei Sätze, 49 der fast 72 Minuten, sind eine oft tastende Vorbereitung auf die von einem Choral gekrönte Doppelfuge des Finales – was zunächst rätselhaft erscheint, auch noch wenn der letzte Satz fast ebenso beginnt wie der erste und erst mal alles bisher Gehörte wie im Zeitraffer zusammenfasst, löst sich einfach in thematische und polyfone Zusammenhänge auf.
Psychologisch erleben wir hörend mit, wie Bruckner 1875/76 seine Lebenskrise, belegt mit Briefäußerungen aus jener Zeit wie „Mein Leben hat alle Freude und Lust verloren – umsonst und um nichts“ oder „Alles ist zu spät“, überwunden hatte und mit eindrucksvoller künstlerischer Willenskraft besiegt. Bleibt noch zu erwähnen, dass selbstverständlich Bruckners Originalversion seiner Fünften verwendet wird. (Bekanntlich konnte der Komponist die Grazer Uraufführung 1893 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr miterleben, und nicht allen – teilweise sehr weitgehenden – Änderungen des damaligen Dirigenten Franz Schalk hatte bzw. hätte er zugestimmt.) Eine erfreuliche Einspielung.
Ingo Hoddick