Bruckner, Anton

Sinfonie Nr. 3 Urfassung 1873

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics OC 624
erschienen in: das Orchester 05/2008 , Seite 62

Sich um Anton Bruckners Sinfonien verdient zu machen, ist heutzutage nicht gerade leicht. Doch wenn der Überfluss an Aufnahmen neue Kreativität bei den Interpretinnen und Interpreten freisetzt, hat er auch sein Gutes. Die australische Dirigentin und Intendantin Simone Young sucht das Alleinstellungsmerkmal für ihre Einspielungen mit den Philharmonikern Hamburg bei einem alten und doch ewig jungen Bruckner-Problem: den Fassungen.
Nun ist jede Version der von solcher Diversität betroffenen Sinfonien – also der zweiten, dritten, vierten und achten – schon vielfach aufgenommen worden. Wie Young jedoch ihren Einsatz für die Urfassungen begründet, das hat Konsequenz und durchaus Berechtigung. Nach der Aufsehen erregenden Einspielung der weniger bekannten und auch unterschätzten zweiten Sinfonie liegt nun – im Label Oehms Classics – die dritte Sinfonie vor. Bei dieser konnte sich bislang keine Version entscheidend durchsetzen, ja viele Dirigenten haben sich selbst in den letzten Jahren nicht einmal die Mühe gemacht, ihre Wahl hinreichend zu begründen. Auch Peter Jan Marthé hat mit seiner Verquickung aller drei Versionen zuzüglich einer weiteren Fassung des Adagios keinen wirklichen Beitrag zur Klärung des Problems geleistet.
Young dagegen macht keinen Hehl daraus, warum sie die Urfassung von 1873 präferiert: Deren Gedankengebäude und Großform seien verständlicher ohne die Kürzungen der späteren Fassungen – radikaler und weniger geglättet zudem die Dynamik und Tempostruktur. Allein 21 Zäsuren zählt das Finale in der Urfassung – später bleiben gerade mal drei davon übrig. Zweifellos hat Bruckner mit den mehrfachen Veränderungen (auf „wohlmeinenden“ Rat hin) seinem eigenen Werk viel Gewalt angetan. Dass man dazu sachlich argumentieren kann und die Fassungsdiskussion nicht gleich zur Glaubensfrage stilisieren muss, beweist das wohltuend fundierte und zugleich verständlich geschriebene Beiheft. Autor Michael Lewin stellt in ihm einmal nicht pathetisch die Unvergleichlichkeit der Dritten heraus, sondern betrachtet sie im Kontext zur Zweiten und auch zu Beethovens neunter Sinfonie.
Doch was ist musikalisch zu dieser Aufnahme zu sagen? Simone Young wählt vor allem im ersten und zweiten Satz sehr moderate Tempi, nimmt sich viel Raum für Zäsuren, die die Radikalität der Sinfonie unterstreichen. Dabei lässt sie die gut eingeschworenen Philharmoniker aus Hamburg klug, weich und manchmal lyrisch phrasieren. Der Klang ist nie zu dick und vor allem in den Höhen sehr facettenreich, die Blechbläser agieren klar und hell. Doch leider schleicht sich trotzdem ab und zu auch Behäbigkeit ein, zum Beispiel, wenn die Musik im vollen Tutti nach Zäsuren wieder in Fahrt kommen soll.
Explosiver gelingen der dritte und vor allem der vierte Satz, den Young geradezu rasant nimmt. Streichermelodien blühen, die Blechbläser strahlen und übertreiben es bei den Chorälen nicht mit der Bedeutsamkeit, das Holz schimmert warm. Ein guter Auftritt der Hamburger Philharmoniker auf dem CD-Markt.
Johannes Killyen

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