Spohr, Louis
Sinfonie Nr. 2 d-Moll op. 49/Sinfonie Nr. 10 Es-Dur WoO 8
Partitur
Ein Komponist müsse fort, wenn er mehr als neun Sinfonien schreibe, meinte Arnold Schönberg 1913 mit Blick auf Gustav Mahlers frühen Tod. Schließlich könne in einer Zehnten etwas gesagt werden, was wir noch nicht wissen sollten. Seit Beethovens Neunter hing dieser Zahl der Nimbus einer letzten künstlerischen Aussage an. Für den Braunschweiger Louis Spohr allerdings kein Grund, nicht einfach weiterzukomponieren. Er vollendete seine 10. Sinfonie Es-Dur im April 1857, gut zwei Jahre vor seinem Tod. Mit der 2. Sinfonie d-Moll op. 49 aus dem Jahr 1820 erschien sie nun als Partitur beim Berliner Verlag Ries & Erler in einer von Bert Hagels ausführlich kommentierten Ausgabe. Lediglich einige Tippfehler stören das Lesevergnügen. (So wurden beide Sinfonien laut Einbänden 1820 publiziert!)
Auch wenn in Spohrs Zehnter nichts außerordentlich Neues gesagt wird, zeichnet sie sich doch durch eine sehr elegante Melodik aus. Vermutlich wegen ihrer unkomplizierten Fraktur bezeichnete der Komponist das Werk als seinen anderen Sinfonien nicht ebenbürtig und verweigerte ihr die Aufnahme ins eigenhändige Werkverzeichnis. Diese strenge Selbstkritik scheint indes ungerecht, denn die Komposition füllt hochwillkommen eine Lücke zwischen Mendelssohn und Schumann sowie Bruckner und Brahms.
Das Werk ist in seiner Form sehr komprimiert und thematisch klar gegliedert. Seine Ästhetik weist weniger auf die ausladende Spätromantik, sondern vielmehr auf einen romantischen Klassizismus. Dass viele Zeitgenossen einen anderen Weg einschlugen, erklärt vielleicht die schnelle Vergessenheit der Sinfonie. Sie besitzt die seit Beethoven etablierte Besetzung mit paarigen Holzbläsern (Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotten), zwei Hörnern, Trompeten, drei Posaunen, Pauken und Streichern. Hinzu kommt lediglich eine Tuba. Die viersätzige Sinfonie ist klassisch in Allegro, Larghetto, Scherzo und Allegro-Finale angeordnet.
Im Gegensatz zu diesem Spätwerk aus Spohrs Zeit der Pensionierung als Kasseler Generalmusikdirektor wirkt die 1820 in London komponierte 2. Sinfonie ungleich romantischer. Sie entstand für die Philharmonic Society und verzichtet im Vergleich zur Zehnten auf Posaunen und Tuba. Die Zweite war Spohrs erste gefeierte Sinfonie und damit der Start seiner Karriere als Sinfoniker. Der fein ausgearbeitete Streichersatz besitzt kammermusikalische Dichte und zeigt einmal mehr den ausgebildeten Geiger. Doch auch das zopfig punktierte Larghetto, das rhythmisch profilierte Presto-Scherzo mit zwei Trio-Teilen sowie das Finale enthalten dankbare Musik für jedes Orchester. Leider konnte die im Besitz der Musikbibliothek Peters befindliche autografe Partitur für diese Edition wegen ungeklärter Eigentumsverhältnisse nicht berücksichtigt werden.
Matthias Corvin