Bruckner, Anton

Sinfonie Nr. 2 c-Moll (Urfassung 1872)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics 614
erschienen in: das Orchester 12/2007 , Seite 83

Der Start von Simone Young als Intendantin der Staatsoper Hamburg und Generalmusikdirektorin der Hansestadt ab der Saison 2005/06 hätte kaum erfolgreicher sein können. Nicht nur erhielt die Oper Hamburg auch dank des dirigentischen Einsatzes der Australierin weitaus mehr positive Resonanz als in den Jahren zuvor. Aber auch ihre Arbeit mit den Hamburger Philharmonikern trägt Früchte, die sich nicht nur in positiven Rezensionen niederschlagen.
Als Auftakt einer Serie von Mitschnitten von Urfassungen von Bruckner-Sinfonien ist nun die 2. Sinfonie in der Urfassung von 1872 erschienen. Mitgeschnitten wurde sie am 12. und 13. März 2006 in der Hamburger Laeiszhalle. Wobei die Dirigentin sich für die alte deutsche Sitzordnung, die ersten und zweiten Geigen antiphonal gegenüber angeordnet, entschieden hat, auch wenn dies trotz der soliden Aufnahmetechnik nicht immer ganz überzeugend geortet werden kann. Schon mit dieser Maßnahme tritt die Sorgfalt, mit der die Dirigentin sich Bruckner nähert, zu Tage.
Auch die Wahl der Urfassung kann überzeugen, die nach einem Ausspruch des Komponisten „für spätere Zeiten, und zwar für einen Kreis von Freunden und Kennern“ vorbehalten sein sollte. Eine geradezu prophetische Aussage, geraten doch seit einigen Jahren verstärkt die Urfassungen der Sinfonik Bruckners ins Blickfeld. Eliahu Inbals Einsatz in den 1980er Jahren für die Urfassungen trägt späte Früchte.
Es ist sicher programmatisch zu sehen, dass Simone Young gerade diese Sinfonie als CD-Auftakt ihrer Zusammenarbeit mit dem Hamburger Orchester gewählt hat. Die von vielen Dirigenten bislang ignorierte Zweite – häufig liegen Einspielungen nur im Rahmen von Gesamtaufnahmen vor – zeigt sozusagen Bruckners sinfonisches Denken in nuce. Man hört in ihr schon die ganze Vielfalt der musikalischen Welt des Oberösterreichers. Zum ersten Mal eröffnet die Zweite mit dem berühmten Piano-Tremolo der Streicher, verschiedene Einfälle und Themen werden auch über die Satzgrenzen hinweg verarbeitet, übereinander geschichtet und miteinander verwoben.
Bruckners Fassung von 1872 ist radikaler und kompromissloser, zwar formal noch nicht so ausgewogen wie die späteren Sinfonien, vielleicht aber gerade deshalb so lebendig und elementar in ihrer Wirkung. Gewichtig und überwältigend ist das gewaltige Finale, das Bruckner in den späteren Fassungen abmilderte. Im Hamburger Mitschnitt kann dieses Finale seine ganze Kraft entfalten.
Die äußerst konzentriert agierenden Hamburger mit sehr flexiblen Streichern – nur in einigen Tuttiballungen im Fortissimo lässt die Klangqualität etwas nach – und wuchtigem, dabei nur in wenigen Fortissimopassagen verhärtet klingendem Blech zeigen sich als Orchester von Format. Die australische Dirigentin wählt eher zügige Tempi, vermeidet falsches Pathos und lässt eine quasireligiöse Atmosphäre gar nicht erst aufkommen. Ausdruck und Formgefühl werden von Simone Young genau austariert, auch wenn ihre Interpretation der Zweiten immer spontan wirkt. Die dramatische Zuspitzung und die Ausdruckskraft der Musik werden auf diesem Mitschnitt bestens präsentiert. Die Lebendigkeit und Ausdrucksfreude dieser Aufnahme lässt viel für die weiterhin angekündigten Mitschnitte von Urfassungen von Bruckner-Sinfonien mit Simone Young und ihren Philharmonikern aus Hamburg erwarten.
Walter Schneckenburger