Haydn, Joseph
Sinfonie in f “La passione” Hob. I:49
hg. von C.-G. Stellan Mörner, Urtext der Joseph-Haydn-Gesamtausgabe, Partitur
Beinamen von musikalischen Werken, die häufig nicht vom Komponisten selbst stammen, sind mit Vorsicht zu genießen. Sie können leicht in die Irre führen, auch wenn sie für den Rezipienten freilich eine leichtere Zuordnung ermöglichen als Nummern, Tonarten oder Jahreszahlen. Joseph Haydns Sinfonie in f-Moll, Hoboken-Verzeichnis I:49 aus dem Jahr 1768, ist bekannter unter dem Namen La passione, den sie aber freilich nicht vom Schöpfer selbst erhalten hat, von dem das Autograf dieses Werks immerhin erhalten ist.
Der Beiname, so wird vermutet, wurde von einem Leipziger Musikalienhändler um 1790 erfunden, um einen Hinweis auf die ungewöhnliche Umstellung der beiden ersten Sätze des Werks dem eröffnenden Adagio folgt der Sonatenhauptsatz zu geben. Andere sehen einen (schwer nachweisbaren) Bezug zur Passion der Karwoche in dieser Sinfonie. Wie dem auch sei: Als relativ gesichert kann gelten, dass im Jahr 1768 neben Nr. 49 auch die Sinfonie 59 A-Dur mit dem Beinamen Feuersinfonie und die Nummer 26 (d-Moll, Lamentatione) entstanden. Aber auch diese Beinamen sind nur wahrscheinlich oder möglicherweise authentisch.
Tatsache ist hingegen, dass im August dieses Jahres Haydns Wohnhaus in Eisenstadt, das er kurz zuvor gekauft hatte, einer Feuersbrunst zum Opfer fiel und es bei dieser Katastrophe, die immerhin 141 weitere Häuser, das Rathaus und zwei Klöster betraf, auch zehn Tote zu beklagen gab. Ob allerdings Haydns Schaffen in irgendeinem Bezug zu solchen Ereignissen steht, lässt sich kaum direkt belegen. 1776 wurde Haydns Immobilie übrigens ein zweites Mal durch Feuer zerstört
Die jetzige Ausgabe der f-Moll-Sinfonie bei Bärenreiter übernimmt den Druck aus der Gesamtausgabe im Henle-Verlag aus den 1960er Jahren, der bereits die in Stockholm aufbewahrte Originalhandschrift Haydns zugrunde legt. Eine zusätzliche Stimmenabschrift von Joseph Elßler aus Schloss Esterházy, die in Frankfurt am Main liegt, wurde vor allem für Vortrags- und Artikulationszeichen sowie vereinzelte Verzierungen herangezogen, sodass es wie sonst kaum einen fast komplett authentischen Notentext gibt. Die Herausgeber ergänzten lediglich Phrasierungsbögen bei Motivwiederholungen, wo sie das Original auslässt und es stellt sich sogleich die Frage, ob ausgelassene Artikulationsvorschriften bei Wiederholungen automatisch besagen, dass sie wie zuvor angewendet werden sollen oder ob sie nicht die Möglichkeit wechselnder Artikulation geben.
Doch man muss nicht päpstlicher sein als der Papst: Es besteht kein Zweifel, dass wir hier einen solide edierten, historisch belegten Urtext vor uns haben, wie man ihn sich für viele andere Werke, deren Originalquellen im Lauf der Geschichte verloren gingen, nur wünschen könnte. Die jetzige Auskopplung aus der Gesamtausgabe ermöglicht es darüber hinaus etwa auch jüngeren Ensembles, sich ohne hohen Kostenaufwand diesem eindrucksvollen Werk zu widmen.
Matthias Roth