Tuma, Franz

Sinfonia (Sonata) a quattro e-Moll für Streichorchester

Generalbass-Aussetzung von Arnold Schönberg, Partitur/Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: edition gamma, Bad Schwalbach 2010
erschienen in: das Orchester 01/2011 , Seite 68

Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist der Musikwissenschaftler Rudolf Lück eine feste Größe im deutschen Musikverlagswesen. Nach den Stationen Peters, Gerig und Breitkopf gründete er 1983 die Edition Gravis, aus der 2008 die ebenfalls von ihm geleitete edition gamma hervorging. Große Teile des Gravis-Repertoires wurden von gamma übernommen, darunter auch vier Werke des böhmischen Meisters Franz Tuma (1704-1774), zu denen Arnold Schönberg 1911 Generalbassaussetzungen angefertigt hat. Guido Adler, Leiter der Publikationsreihe „Denkmäler der Tonkunst in Österreich“, hatte den jungen Schönberg mit mehreren Aufträgen bedacht, doch im Gegensatz zu einem 1912 veröffentlichten „Denkmäler“-Band mit Werken von Georg Matthias Monn (er enthält u.a. eine Früh­fassung jenes Cellokonzerts von Monn/Schönberg, das durch Pablo Casals uraufgeführt wurde und noch heute gelegentlich zu hören ist) blieben die Werke Tumas in Schönbergs Version damals unveröffentlicht. Erst die hier wiederaufgelegte Ausgabe Rudolf Lücks aus dem Jahr 1968 holte dieses Vorhaben nach.
In den Jahren vor 1914 galt Schönberg weithin als umstürzlerischer Neutöner. Den Eingeweihten und Freunden, zu denen Guido Adler zählte, waren freilich Schönbergs profunde Kenntnisse in Sachen Tonsatz und Harmonik bekannt. In seiner pädagogischen Tätigkeit und der 1911 publizierten Harmonielehre hatte er hiervon Zeugnis abgelegt. Detailliert nimmt Schönberg in diesem theoretischen Hauptwerk Stellung zu Technik und Ästhetik des Generalbasses, worüber in komprimierter Form Rudolf Lücks Aufsatz „Die Generalbaß-Aussetzungen Arnold Schönbergs“ aus dem Jahr 1963 informiert. Dieser Essay liegt der vorliegenden Ausgabe als Begleittext bei: aufschlussreich und lesenswert, wiewohl etwas hemdsärmelig dargereicht als schräg angeschnittene Kopie aus dem Deutschen Jahrbuch der Musikwissenschaft 1963. Manche Formulierung Lücks – etwa jene, dass Schönberg „immer individuell [arbeite], ohne dass seine starke Persönlichkeit den stilistischen Rahmen des 18. Jahrhunderts sprengt“ – muss aus heutiger Sicht relativiert werden: Der Schönberg’sche Generalbass hat wenig gemein mit Continuo-Spiel im Sinn der Historischen Aufführungspraxis. Es handelt sich vielmehr um eine eigenständige, stimmführungstechnisch ausgeklügelte kompositorische Ergänzung zu Tumas 4-stimmigem Satz, die auf Schönbergs schöpferisches Credo der permanenten Variation verweist.
Problematisch erscheint die Wiederveröffentlichung des musikhistorisch spannenden Dokuments unter dem Signum einer „praktischen Ausgabe“. Wie soll man diese Fassung heute spielen? Historisch informiert und dazu mit Schönbergs Continuo-Version? Hilfreich wäre gewesen, das originelle, zwischen fugierender Maßarbeit im Stil Johann Joseph Fux’ – Tumas Lehrer – und empfindsamem Stil changierende Werk zusätzlich mit einer durchgehend bezifferten Bassstimme zu versehen. Warum bricht die Bezifferung der Cello-/Bass-Stimme nach dem 12. Takt des 1. Satzes jäh ab?
Gerhard Anders