Strauss, Richard
Sinfonia domestica / Die Tageszeiten
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Rundfunkchor Berlin, Ltg. Marek Janowski
Familienfotos zu Lebzeiten von Richard Strauss hatten wohl grundsätzlich keine Fröhlichkeit zu verbreiten. So auch dieses: Der Meister stützt sich auf die Lehne des noblen Ledersofas, die Augen groß und ernst. Die Gemahlin in der Mitte ist in eine kostbare Jugendstilbluse gekleidet, ihr Gesicht ist beinahe erstarrt. Der Knabe im Hintergrund zeigt immerhin gleichgültige Entspannung. Der Raum ist mit schweren Tischdecken und Wandbehängen dekoriert, Brauntöne herrschen vor.
Nicht von ungefähr haben die Verantwortlichen beim Label Pentatone dieses Bild für das Cover der vorliegenden CD gewählt. Zu hören ist darauf in einer großartigen Einspielung des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin und des Rundfunkchors Berlin unter Leitung von Marek Janowski die wahrscheinlich am wenigsten populäre Tondichtung von Richard Strauss, die Sinfonia domestica aus den Jahren 1902/03.
Dabei ist es weniger die Musik, sondern mehr das Programm dieser Sinfonie, das die Interpreten und Hörer verstört und ein wenig auch ihre Geschichte. Strauss kehrt nach seinen tondichterischen Ausflügen in die Welt der Literatur, der Philosophie und der Helden zurück an den heimischen Herd und schreibt ein musikalisches Programm für Ereignisse im häuslichen Alltag: Kinderspiel, Wiegenlied, Verwandtenbesuch, Sex, Streit mit der Gattin, Versöhnung und Idylle. So viel Trivialität hat dem Werk enorm geschadet, leider. Ebenso eine Aufführung im Jahr 1933, als Strauss den für die Nazimachthaber nicht genehmen Bruno Walter vertrat und dabei ausgerechnet die Sinfonia domestica ansetzte.
Man tut dem Meister wohl einen Gefallen, dieses Ereignis zu vergessen und sein Programm zu ignorieren. Übrig bleibt herausragend komponierte Musik, die alle Erfahrungen und Qualitäten vorhergegangener Tondichtungen aufnimmt und dabei mehr als eine Vorausschau auf die Alpensinfonie (1911-15) und Salome (1905) liefert. Spannend auch die enge Verzahnung des motivischen Materials. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin spielt sich mit größter Wonne durch die Partitur und ihre Extreme zwischen Melancholie und Hypertrophie ohne Scheu vor Risiko und dennoch ohne Fehl und Tadel.
Ein große Rarität (und im Wikipedia-Eintrag nicht einmal verzeichnet) sind die vier Männerchöre Die Tageszeiten von 1927 auf Worte von Joseph von Eichendorff, die thematisch gut zur Sinfonia domestica passen. Die Anforderungen an den Chor sind derart hoch, dass der Zyklus wohl nur von Profichören wie dem Rundfunkchor Berlin gestemmt werden kann. Die Orchesterbegleitung steht derjenigen der Vier letzten Lieder in nichts nach und sorgt letztlich dafür, dass gelegentliche männerbündlerische Anklänge (zwischen nationaler Romantik und Parsifal) zurücktreten. Reizvoll sind Die Tageszeiten auch deshalb, weil sie so unterschiedlich komponiert sind: frisch der Morgen, chromatisch aufgeladen die Mittagsruh, erregt der Abend und wunderbar verklärt die Nacht. Welch wunderbare Hornsoli!
Johannes Killyen