Simple Gifts
Werke von Benjamin Britten, Aaron Copland, Samuel Barber, Michael Tippett und Randall Thompson
Eines haben fast alle auf dieser CD präsentierten Chorwerke gemeinsam: Sie sind während des Zweiten Weltkriegs entstanden, in dunklen Zeiten also, in denen die brutale und tödliche Sprache der Waffen regierte. Komponisten wie Benjamin Britten oder Michael Tippett haben dem ihre visionäre Sprache der Musik entgegengesetzt als Anklage, als Mahnung und als Vorgriff auf eine bessere und gerechtere Welt. Der Rundfunkchor Berlin entfaltet diese Reflexionen über Krieg und Frieden auf berührende Weise. Simple Gifts steht als Motto über der jüngsten CD-Produktion, es ist der Titel eines Lieds der Shaker, die als friedliche Siedler zu Beginn des 19. Jahrhunderts die amerikanische Ostküste besiedelt hatten: Einfache Gaben.
Einfach, aber dennoch von enormem Tiefgang sind die fünf Negro Spirituals, die Michael Tippett in A Child of our Time integrierte. Die leidvolle Geschichte der Afroamerikaner ist darin sedimentiert, steht hier aber paradigmatisch für die Opfer jedweder Gewalt. In Tippetts Oratorium wirken die Spirituals als gliedernde Choräle und bieten dem Berliner Rundfunkchor Gelegenheit, die ganze Bandbreite seiner Farben vorzustellen, vom andächtig zarten Steal away bis zum duftig federnden Nobody knows.
In Benjamin Brittens Ballad of Little Musgrave and Lady Barnard von 1943 ist es die Widmung an einen britischen Soldaten in einem deutschen Gefangenenlager, die die Verbindung zwischen der mittelalterlichen Textvorlage und dem 20. Jahrhundert herstellt. Die ein Jahr zuvor komponierte Hymn to St. Cecilia darf man nicht nur als Huldigung an die inspirierende Patronin der Musik auffassen. Sie ist gleichermaßen ein überzeitlich aktueller Appell an die Kunst und die Künstler, Humanität einzuklagen. Dieselbe Intention ist dem Amerikaner Randall Thompson zu unterstellen, der anno 1940 mit seinem Alleluja ein beschwörendes Plädoyer lieferte.
Chorchef Simon Halsey hat ein höchst spannendes Programm zusammengestellt, bei dem sich sein Vokalensemble von der besten Seite zeigt. Vom ersten Moment an fasziniert die Ausgewogenheit des Klangs und seine pulsierende Lebendigkeit. Hier wird erzählt, ganz unmittelbar, zum Beispiel auch Brittens Geschichte von Oliver Cromwall, Aaron Coplands Old American Songs oder Samuel Barbers traurige Verse über jenen Kämpfer, der im Ringen um Freiheit sein Leben lassen muss (A Stopwatch and an Ordnance Map). Gespenstisch, wie die Pauken das Schlachtfeld beschreiben!
A propos Samuel Barber: sein Agnus Dei, die Vokalversion des berühmten Adagios aus dem Streichquartett, ist sicher keine Repertoireentdeckung mehr. Aber mit ihm sorgt der Rundfunkchor Berlin für acht Minuten ununterbrochen vibrierender Gänsehaut großartig!
Christoph Schulte im Walde