Pleger, Ralf
Simone Young. Die Dirigentin
Ein Porträt
In den neunziger Jahren eroberte sie mit Bravour die ersten Adressen der Opern- und Konzertwelt und warf dabei das Klischeebild vom Maestro männlich, betagt, elitär in jeder Kategorie über den Haufen, schreibt der Biograf zu Beginn seines Porträts, wobei die mediale Ausschlachtung der Tatsache, dass es sich bei Simone Young um eine Frau handelt, zeitweilig groteske Züge annahm. Trotz ihrer steilen Karriere ist ihre Biografie nicht frei von Brüchen, was nicht ausschließlich mit ihrer Herkunft aus Australien zu tun hat, wo die Dirigierausbildung keine große Tradition aufweist.
Der Autor beginnt mit Kindheit und Studium, widmet sich dem Karrierebeginn im Opernhaus von Sydney und den Anfängen in Europa, um dann zur Weltkarriere überzugehen. Heute kann Young unseriöse Bemerkungen in der Presse wie Stiletto-Domina leicht ertragen, denn sie hat alles erreicht, was ein dirigierender Mensch sich wünschen kann. 1993 dirigierte sie ein knappes Jahr nach ihrem Debüt an der Wiener Volksoper an der dortigen Staatsoper, der Gralsburg des europäischen Musiktheaters. Die frauenabstinenten Wiener Philharmoniker engagierten sie sogar mehrfach. Heute erobert sie nicht mehr die Opernhäuser, sondern prägt sie künstlerisch. Seit 2005 ist sie Intendantin der Hamburger Staatsoper und Generalmusikdirektorin des dortigen Philharmonischen Staatsorchesters; eine Professur an der Hamburger Musikhochschule ist im letzten Winter hinzugekommen.
Es stellt sich die Frage, ob es nicht zu früh ist, ein Buch über eine 1962 geborene Künstlerin zu schreiben, zumal Dirigenten gemeinhin bis ins Greisenalter berufstätig sind. Ralf Pleger drehte einen Fernsehfilm über sie und weitete das Projekt zu einer Biografie aus. Man konnte also ein rasch zusammengetragenes Buchporträt über sie erwarten. Statt dessen liefert der Autor eine gut zu lesende, unterhaltsame und dennoch informative Studie über die Künstlerin, der es als erster Dirigentin gelungen ist, in der Welt alle Glasdecken zu durchbrechen.
Eingefügt sind Passagen, in denen Young selbst, aber auch ihre Eltern, Bekannten und Freunde zu Wort kommen. Man lernt nebenbei einiges über die zusätzlichen, zeitaufwändigen Aufgaben hinter der Bühne kennen, die ein Dirigat mit sich bringt: Sie musste Sprachen lernen, Kurse besuchen, sich durch langwierige Studien ein größeres Repertoire aneignen, Kontakte knüpfen, ihre Familie betreuen und ihre Kinder, die sie oft auf ihren Reisen durch die Welt mitnahm, gleichzeitig großziehen. Nur kleine Fehler fallen in dem ansonsten sorgfältig erstellten Band auf: Die Walküre ist nicht der zweite, sondern der erste Teil der Ring-Tetralogie, dem ein Vorspiel vorangeht, Fanny Hensel hat niemals in Köln und schon gar nicht Opern dirigiert.
Eva Rieger