Richard Wagner

Siegfried

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Simon Rattle

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: BR-Klassik
erschienen in: das Orchester 01/2024 , Seite 66

Es war ein Großereignis, als Simon Rattle, der im Herbst 2023 seine Chef-Position beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks angetreten hat, seinen konzertanten Münchner Ring des Nibelungen fortsetzte: Rheingold und Walküre liegen bereits vor, als zweiter Tag des Bühnenfestspiels stand das Musikdrama Siegfried an, das in Richard Wagners Tetralogie nach der Walküre Siegfrieds tollpatschige Jugend erzählt, seinen Drachenkampf, die Abnabelung von seinem Ziehvater Mime (den er ermordet) wie von seinem Übervater Wotan, dessen Speer er zerschlägt, bis bin zu Brünnhildes Erweckung.
Musikalisch ist das ein Stück des „nicht mehr und noch nicht“, denn zwischen der Komposition des zweiten und dritten Aktes hatte Wagner zwölf Jahre pausiert, in denen er den Tristan und die Meistersinger geschrieben hatte. Rattle meint denn auch im Programmheft des nun erschienenen Livemitschnitts aus der Isarphilharmonie: „Der 3. Aufzug ist wie eine Bombe. Diese Explosion von Energie und Klang […] Man spürt, dass sich etwas gelöst hatte. Ein Damm war gebrochen.“ Er bekennt, dass im Siegfried manches so experimentell sei wie nie wieder bei Wagner. „Und gerade das hört man erst so richtig in einer konzertanten Aufführung, wenn das Orchester nicht im Graben versteckt ist. Denn über weite Strecken ist es ein Konzert für Orchester!“ So dirigiert er das Werk auch, aber es mangelt entschieden an Spannung und Dramatik.
Im Gegensatz zu seinen bisherigen Ringen, die er szenisch in Aix-en-Provence und konzertant in London produzierte, hat er nun den Weg der Langsamkeit verlassen und wartet mit rascherem Zeitmaß auf. Dennoch fehlt seiner eher epischen, detailverliebten Lesart oftmals das Bühnenhaft-Szenische, wie es den Hörer etwa in Georg Soltis Einspielung geradezu anspringt. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks spielt mit Hingabe, Präzision, klanglicher Brillanz einen luxuriösen Wagner, wie er „schöner“ nicht klingen könnte. Aber Schönheit ist nicht alles bei Wagner.
Die Besetzung ist superb: Anja Kampe singt eine eindrucksvolle Brünnhilde, wenn auch mit etwas zu viel Tremolo, Simon O‘Neill einen schlanken Siegfried à la Wolfgang Windgassen, Gerhild Romberg eine sinnliche, samtweiche Erda. Der Ausnahmebariton Michael Volle gestaltet den Wotan gesanglich nobel. Franz-Josef Selig singt den dahinsiechenden Fafner mit der Kunst eines Oratoriensängers. Georg Nigls Alberich ist klar und in der Diktion eines Liedersängers. Peter Hoare gestaltet mit markantem Charaktertenor den Mime. Die Wortverständlichkeit aller Sänger ist exzellent, was nicht zuletzt der transparenten Aufnahmetechnik zu verdanken ist, aber auch der zuweilen sehr zurückhaltenden orchestralen Begleitung, die den Sänger:innen zugutekommt.
Dieter David Scholz

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