Riehm, Rolf

Shifting / Archipel Remix

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo WER 7357 2
erschienen in: das Orchester 05/2017 , Seite 69

Die Kompositionen wurden bereits 1995 (Shifting) und 2000 (Archipel Remix) vom WDR aufgenommen und sind nun seit 2016 auf CD erhältlich. Der erste Höreindruck ist in jeder Hinsicht so überzeugend, dass sich die Frage stellt, warum die Veröffentlichung nicht schon früher möglich war.
Das, was Rolf Riehm selbst über Shifting in einem Brief an den Solisten der Uraufführung Guy Braunstein schreibt, scheint ihn und den Dirigenten Dennis Russell Davies gemeinsam beflügelt zu haben, diesen gestalterischen Vorstellungen zu folgen, ohne dass sie hierbei auf den Ausdruck persönlicher Betroffenheit verzichten.
So dienen die sich scheinbar endlos hinziehenden Vorhaltsbildungen als Katalysatoren für Empfindungszustände der Hoffnung, Erschöpfung, verhaltenen Freude und Resignation. Die hierin eingebettete „weitausholende, riesige Melodie“ wird von Braunstein vor und auch hinter dem orchestralen Geschehen in der natürlichsten Weise so aus- und eindrucksvoll
gestaltet, dass das Hören zum physischen Erleben wird und das Instrument wie entmaterialisiert erscheint.
Dem äußerst einfühlsam agierenden und gestaltenden Orchester gelingt es eindrucksvoll und in jeder Phase authentisch wirkend, eine Landschaft zu durchschreiten, der scheinbar ständig neue Kräfte zuwachsen (Riehm). Dies geschieht in stets feinsinniger und deshalb auch spannender Form. Es wirkt wie eine Reise ins Ungewisse und trotzdem Vertraute.
Archipel Remix wurde für großes Orchester und elektronische Zuspielungen geschrieben. Riehm begreift die Komposition als ein „Archipel, einen Komplex von Inseln, bestehend aus unterschiedlich ausgedehnten Inseln. Das Stück fängt vorne an und hört hinten auf, wie auch anders, aber ich möchte den natürlichen Zeitablauf unterlaufen. Daher die Metaphorik des Archipels und die Art der Bezeichnung.“ Hierbei wirken die sehr verschiedenartigen Zuspielungen nicht nur als klangliche, historisch-mythi­sche Bereicherung, sondern auch als Erinnerung ohne Worte.
Unter der versierten und sehr empfindsamen Leitung von Peter Rundel gelingt es dem Orchester auf natürlichste Weise, „gegebenes Material“ zu transformieren und so den Wahrnehmungsprozess in einer fortlaufenden Spannung zwischen akkomodierenden und assimilierenden Phasen in der Schwebe zu lassen. So werden beispielsweise kurze Passagen aus Chopins Polonaise fis-Moll, Fetzen aus Brahms-Variationen, tumulthafte Takte aus Rachmaninovs Etudes-Tableaux
op. 39/1 oder körperlich-empfindsame und intensiv atmende Einschübe aus Riehms Scheherazade für Akkordeon den Inseln und Eilanden zugespielt, die den rhapsodischen Charakter verstärken und den Hörer sprachlos lassen.
Den Dirigenten gelingt es in vorzüglicher Weise, den Zuhörer durch immer wieder neu auftauchende und anders wirkende Landschaften zu führen, sodass sich unweigerlich der Wunsch einstellt, dies alles auch einmal live erleben zu dürfen.
Romald Fischer