Sørensen, Bent / Witold Lutoslawski / György Kurtág / Marc-André Dalbavie
Shadows of Silence
Ein Flügel, umgeben von sieben Video-Leinwänden. Leif Ove Andsnes spielt Bilder einer Ausstellung, während auf den Screens um ihn herum Abstraktes und der Film Pictures reframed gezeigt wird. “Pictures reframed” heißt auch das Event, das von dem Video-Künstler Robin Rhode konzipiert wurde. Im Herbst dieses Jahres ging der norwegische Pianist damit auf Tour durch Nordamerika und Europa, im Dezember ist er in München, Berlin und Köln zu erleben. Wem das zu weit ist, der kann den längst zu den Etablierten der Klavierszene zählenden Künstler auf seiner neuesten CD erleben. In Werken von Sørensen, Lutoslawski, Kurtág und Dalbavie besticht Andsnes mit grandioser Technik und einer Anschlagskultur, die noch die feinsten Nuancen zu artikulieren vermag.
Ihren Titel leiht sich die Veröffentlichung von der gleichnamigen Komposition des Dänen Bent Sørensen. Die Initialzündung zu Shadows of silence gab ihm ein Handy-Telefonat mit einem Gesprächspartner in einer europäischen Hauptstadt, wie im Beiheft zu lesen ist. Im Hintergrund vernahm Sørensen ein herrliches Kirchenglockenkonzert. In der nächsten Nacht träumte ich, dass der Klang dieser tiefen, singenden Glocken in einem riesigen, leeren Konzertsaal aus einem Klavier aufstiege. Bevor in dem Stück allerdings die Glocken zu läuten beginnen, führt der Weg durch eine Landschaft von Schatten: Schatten der Stille, ehe die Glocken kommen, Stille vor dem Sturm, Schatten von Melodien.
Andsnes spielte diese klangmächtige Musik mit der gebotenen Ruhe, unter seinen Händen werden Terzentriller, Passagen, Repetitionen zu impressionistischen Ausdrucksmitteln, ähnlich wie in Debussys Préludes. Das zarte Lullabies, ebenfalls aus der Feder von Sørensen, steht am Beginn der CD. Zwei eingängige Melodien, eine aus einem Liederzyklus des Komponisten, die andere ein dänisches Wiegenlied, werden darin in ein feines Gespinst aus kristallinen Klängen eingewoben.
Mit den Klavierkonzerten von Witold Lutoslawski und Marc-André Dalbavie finden sich auf der CD zwei Werke, die mancherlei Gemeinsamkeit aufweisen, etwa in der Verwendung der Oktaven, in der Konzeption der Musik nicht nur als zeitliches, sondern auch als räumliches Geschehen sowie in der unterschwelligen Beinahe-Tonalität, die im Finale in den Vordergrund rückt, so beschreibt es das Beiheft. Auch das Spiel mit Dichte und Lockerheit der Satzstruktur, das Hin- und Herblenden zwischen Vorder- und Hintergrund, das Dalbavies Konzert auszeichnet, findet sich bei Lutoslawski bereits vorgezeichnet.
Beide Konzerte wurden 2007 im Herkulessaal der Münchener Residenz mit dem Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks unter Leitung von Franz Welser-Möst aufgenommen. Die Komplexität dieser Werke wird vom Ensemble mit aller wünschenswerten Plastizität und Transparenz herausgearbeitet, Leif Ove Andsnes kann seine gestalterische Überlegenheit unter Beweis stellen. Komplettiert wird die CD schließlich mit Ausschnitten aus György Kurtágs Játékok (Spiele), raffinierte Miniaturen, die Andsnes wunderbar selbstvergessen und subtil darbietet.
Mathias Nofze