Holst, Gustav
Sextett e-Moll
für Oboe, Klarinette in A, Fagott, Violine, Viola, Violoncello, Partitur und Stimmen
Nur noch selten sind unveröffentlichte Werke großer Komponisten der Vergangenheit zu entdecken. Und wenn dazu bislang noch keine einzige Aufführung nachzuweisen ist, wird es besonders spannend. Helge Bartholomäus, der Herausgeber des vorliegenden Notenbandes, durfte sich vor einigen Jahren auf eine solch spannende Begegnung mit einem Jugendwerk Gustav Holsts einlassen. Dessen um die vorletzte Jahrhundertwende und damit gegen Ende Studienzeit entstandenes Sextett für Oboe, Klarinette, Fagott, Violine, Viola und Violoncello hat Bartholomäus den Archiven der British Library entrissen, aufgeführt und jetzt im Verlag Ries & Erler erstmals veröffentlicht.
Die viersätzige Komposition in e-Moll gibt sich serenadenhaft leicht, durchsichtig und durchaus pragmatisch. Klare Formen gliedern das Zusammenspiel von Bläsern und Streichern, und bisweilen darf man aus diesem Werk sozusagen ein doppeltes Trio heraushören. Unterstützt wird die Transparenz durch eine zurückhaltende Behandlung der Instrumente, die nicht auf vordergründige Virtuosität, sondern auf ein kammermusikalisches Miteinander der sechs Instrumente baut. Auf der anderen Seite zeichnen sich nur sehr selten (etwa in der Klarinetten- oder der Geigenstimme) wirkliche Führungsrollen ab, und insbesondere die beiden tiefen Streicherstimmen Viola und Violoncello müssen doch hauptsächlich Begleitarbeit leisten. Das Fagott ist da etwas gleichberechtigter in einen Trio-Bläsersatz eingebettet.
Gustav Holst beginnt sein Jugend-Sextett mit einem fein ausschwingenden Moderato, das häufig Impulse aus der Gegenüberstellung von Bläser- und Streichertrio bezieht und immer in Bewegung bleibt. Das pointierte Scherzo sieht die Klarinette und die Violine im Vordergrund, im Trio hingegen dominieren kompaktere, geschlossenere Klänge. Ein selbstbewusstes, durchaus Konturen wagendes Andante steht an dritter Stelle und zum Finale blitzt in einem vielgliedrigen Variationensatz schon etwas vom späteren Holst auf. Ein leichtfüßiges Thema wird in einer Handvoll Variationen auf verschiedene Charakterzüge hin ausgeleuchtet und macht in forte und piano, im Adagio wie im Allegro und in Bläsern und Streichern eine gute, weil vielseitige Figur.
Die technischen Anforderungen an alle sechs Musiker halten sich in Gustav Holsts Werk in überschaubaren Grenzen. Hier sind nicht unbedingt Virtuosen von Rang, sondern vielmehr aufmerksame Gestalter gefragt, die dieses filigrane Stück Kammermusik behutsam und leichtgängig umsetzen. Dabei ist dann auch eher ein serenadenhaft offener Ton von Vorteil, der mehr auf Schattierungen denn auf herbe Kontraste setzt.
Daniel Knödler