Lütter, Johann

Sextett

für Klarinette, Horn, Fagott, Violine, Viola und Violoncello, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Dohr, Köln 2013
erschienen in: das Orchester 01/2014 , Seite 74

Nimmt man einmal die Gattung Klarinettenquintett aus, so herrscht durchaus Mangel an gemischter Kammermusik für Bläser und Streicher in größerer als Quartettbesetzung. Turmhoch über allem anderen thronen da Beethovens Septett und Schuberts Oktett, herausragend sicher noch Anton Weberns Quintettbearbeitung der 1. Kammersymphonie Schönbergs und Hindemiths Oktett sowie das Sextett von Penderecki; daneben reizvoll noch das ein oder andere u.a. von Spohr, Onslow und Berwald. Danach wird es ziemlich schnell dünner.
So kommt die Veröffentlichung des Sextetts für Klarinette, Horn, Fagott, Violine, Viola und Violoncello von Johann Lütter durchaus gelegen. Lütter wird vermutlich den wenigsten von uns ein Begriff sein. 1913 in der Nähe von Aachen geboren, strebte er eine Karriere als Dirigent an. Wie bei vielen anderen seiner Generation verhinderten die Zeitläufte die Realisierung aller Pläne. Lütter wurde gleich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zum Kriegsdienst eingezogen und geriet später in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1948 entlassen wurde. Nach seiner Rückkehr nahm er ein Studium an der Musikhochschule in Köln auf, ließ sich zum Chorleiter, Komponisten und Organisten ausbilden und wirkte danach fast 30 Jahre lang als Kirchenmusikdirektor in Alsdorf, wo er 1992 gestorben ist. Lütter hinterließ ein umfangreiches Œuvre, schrieb Chorwerke (darunter allein zehn Messen), eine Oper, Orgel- und Kammermusik, Lieder und vieles andere mehr. Sämtliche Kompositionen blieben zu seinen Lebzeiten ungedruckt. Stilistisch gesehen sind seine Werke eher konservativ-traditionell geprägt, sie bewegen sich im Bereich reiner bis vorsichtig erweiterter Tonalität.
Zurück zum Sextett, dessen Partitur dem Rezensenten vorliegt (ein Stimmenset ist ebenfalls erschienen). Es ist nicht vermerkt, wann das viersätzige Werk entstanden ist. Jedenfalls zeigt sich Lütter hier als ganz der Tradition verhafteter Tonschöpfer in der Nachfolge Brahms’ und Regers. Manches in dem rein tonalen Stück verrät den Organisten und Chorleiter, insbesondere die chorische Stimmführung, die oft blockartige Setzweise, die Andeutung polyfoner Strukturen in den Durchführungen der Ecksätze, die Vorliebe für Sequenzen, oft in Reger’scher Manier sich nach oben schraubend. Die Thematik des Andantes – merkwürdigerweise in Ges-Dur und der einzige Satz, der nicht in B-Dur steht – mutet mit ihren Punktierungen und den doppelschlagartigen Ornamenten ein ganz klein wenig „mahlerisch“ an. Ein Walzer steht an der Stelle des Scherzos. Fast skizzenhaft wirkt der Schluss des Allegretto-Finales. Auf den letzten sieben Partiturseiten fehlt jedwede dynamische Anweisung, immer sparsamer angedeutet und später ganz ausgelassen sind Binde- und Artikulationsbögen. Man darf mutmaßen, dass Lütter die Partitur wohl eher für den internen Hausgebrauch als für eine finale Drucklegung schrieb und deshalb manches eher angedeutet als konsequent ausgeführt hat.
Wie ist das Sextett nun einzuordnen? Sicher kein epochales Meisterwerk, aber doch interessant für Aficionados gemischter Kammermusik und durchaus der Veröffentlichung wert.
Herwig Zack