Sergiu Celibidache
The Complete RIAS Recordings, Berlin 1948-1957, 3 CDs
Sowohl für die Celibidache-Diskografie als auch für das allgemeine Tonträger-Repertoire liegen hier wichtige Aufnahmen vor. Sie stammen vor allem aus dem Zeitraum zwischen 1947 und 1950, als der Furtwängler-Stellvertreter Celibidache das (West-)Berliner Musikleben bestimmte. Meist von der klassisch-romantischen Hauptstrecke entfernt liegende Werke sind es, die damals vor allem im Titania-Palast in Steglitz aufgeführt wurden. Werke der frühen, aber auch der ganz zeitnahen Moderne, wie etwa Paul Hindemiths 1945 entstandenes und hier als deutsche Erstaufführung (am 5. September 1949) erklingendes Klavierkonzert. Harald Genzmers klassizistisches Flötenkonzert stammte von 1944, und mit Reinhard Schwarz-Schillings Introduktion und Fuge für Streichorchester erlebte der Kino-Saal an der Schlossstraße am 11. April 1949 gar eine Uraufführung.
Die US-amerikanischen GIs, die am 20. Oktober 1948 sicherlich in beträchtlicher Zahl anwesend waren, werden Augen gemacht haben, als sie die Rhapsody in Blue ihres Landsmanns Gershwin als romantische Neo-Klassik zu hören bekamen: ganz unkess, nicht grell, aber glühend und pathetischem Anflug nicht abgeneigt.
Auch bei Maurice Ravels Rapsodie espagnole hat Celibidache seine eigene Gangart: weniger Atmosphäre als direkte Rede, die aus den kleinteiligen Motivketten Profile eines Sehnsuchtsidioms macht. War bei Gershwin das RIAS-Symphonie-Orchester (ab 1956 Radio-Symphonie-Orchester Berlin, ab 1993 Deutsches Symphonie-Orchester Berlin) der Tutti-Partner, so spielten bei Ravel ebenso wie bei Ferruccio Busonis Violinkonzert die Berliner Philharmoniker. Deren Konzertmeister Siegfried Borries war der Solist dieses bis heute eine Repertoire-Rarität gebliebenen Werks.
Bezwingend ist der Eindruck, den Celibidaches Hindemith-Interpretation hinterlässt, wo im Kontext gehärteter Figuration Klangsensualismus gedeiht. Verblüffend auch die Extrovertiertheit und der Furor, der dem so klassisch ausbalancierten Werk Schwarz-Schillings zuteil wird.
Bedeutend sind die drei Aufnahmen von Werken des Lehrers Celibidaches, Heinz Tiessen, zu dessen 70. Geburtstag der im Zorn von Berlin geschiedene Dirigent 1957 noch einmal an die Spree kam. Die 2. Symphonie, die Hamlet- und Salambo-Suite werden mit mächtigem Impetus, der mehr als einmal die Grenzen des Radio-Symphonie-Orchesters Berlin herausgefordert, vorgestellt. Mit den Berliner Philharmonikern wird noch Aaron Coplands Appalachian Spring und Luigi Cherubinis Anakreon-Ouvertüre geboten.
Der Authentizitätsanspruch von Audite kommt beim digitalisierten Klangbild bestens zum Tragen, was man vom bibliografischen Auftritt der Detmolder Firma nicht behaupten kann: Die deutschen Werktitel sind der Anglisierungs-Gleichmacherei zum Opfer gefallen.
Bernhard Uske


