Pergolesi, Giovanni Battista (?)
Septem verba a Christo
Hin und wieder hat die Musikwelt Glück und es werden in Archiven oder klösterlichen Bibliotheken schlummernde Manuskripte besonderer Qualität entdeckt. Im Jahr 2009 gelang dem Musikwissenschaftler Reinhard Fehling im niederösterreichischen Stift Kremsmünster ein solcher Fund: Septem verba a Christo (Sieben Worte Jesu), ein Werk, das vermutlich aus der Feder von Giovanni Battista Pergolesi stammt. Eine Originalhandschrift ist nicht erhalten, jedoch steht auf mehreren Abschriften Pergolesis Name. Kürzlich erschien eine kritische Neuausgabe bei Breitkopf & Härtel. Der Dirigent René Jacobs hat diese Sieben Worte jetzt mit exzellenten Solisten und der Akademie für Alte Musik Berlin aufgenommen.
Die Musikwissenschaft weiß eigentlich schon seit etwa 100 Jahren von diesem Werk, 1882 wurde es in der Bayerischen Staatsbibliothek katalogisiert. In den 1930er Jahren tauchten in zwei Klöstern weitere Abschriften auf, eine Musikwissenschaftlerin führte sogar eine Analyse durch. Doch nichts passierte. Auch nicht, als immerhin der Dirigent Hermann Scherchen um 1950 eine Abschrift in der Zürcher Zentralbibliothek als eines der innigsten Kunstwerke bezeichnete. Reinhard Fehling hat alle Quellen verglichen und ist wie René Jacobs überzeugt, dass die Septem verba von Pergolesi stammen.
Die Sieben Worte sind ein einstündiges meditatives Oratorium, ein Zyklus von sieben Kantaten. In jeder Kantate gibt es jeweils zwei Arien. Die erste singt Jesus, die zweite Anima gemeint ist die gläubige Seele. Jesus wird doctor optimae genannt, was als bester Lehrer zu verstehen ist. Die Jesus-Worte am Kreuz, die ohne Orchester zu Anfang jeder Kantate intoniert werden, paraphrasiert der singende Jesus in seinen Arien, sie sind eine Art theologischer Kommentar. In den Anima-Arien wird inhaltlich Bezug auf die Jesus-Worte genommen. Zum Beispiel antwortet die Seele auf: Mein Gott, warum hast du mich verlassen?, mit: Wenn ich dich, Jesus, so betrübt und verlassen sehe, ergreift mich Scham. So entsteht ein Dialog zwischen Jesus und der gläubigen Seele. Die frühen Oratorien um 1600 waren solche geistlichen Dialoge, eine Tradition, die sich noch in den Dialog-Kantaten Bachs findet.
René Jacobs hat mit der Sopranistin Sophie Karthäuser, dem Countertenor Christophe Dumaux, dem Tenor Julien Behr und dem Bassisten Konstantin Wolff ein exzellentes Solisten-Quartett, das mit stilistischem Feingefühl agiert. Die fantasievolle, farbige Instrumentation u. a. mit Solo-Horn , die zahlreichen musikalischen Textausdeutungen werden von der Akademie für Alte Musik Berlin lebendig, ja, wie sprechend umgesetzt, noch dazu mit einem wunderbar warmen Klang in den Streichern.
Mit letzter Sicherheit lässt sich nicht sagen, ob tatsächlich Pergolesi den Kantatenzyklus Die sieben Worte Jesu komponiert hat. In seiner Form und der ungewöhnlichen Instrumentierung ist das Werk singulär. Es ist eine erstklassige Komposition, die es lohnt, zu kennen. Da ist es eigentlich unwichtig, ob sie von Pergolesi oder einem anderen großen Meister geschrieben wurde.
Elisabeth Richter


