Mazur, Andreas

Sénanque

für Flöte solo mit Verwendung von Pars-pro-Toto-Spieltechniken

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Zimmermann, Frankfurt am Main 2006
erschienen in: das Orchester 02/2007 , Seite 87

In der Reihe „Neue Flötenmusik“ bei Zimmermann sind zwei neue Stücke für Flöte solo erschienen: das eine experimentell-avantgardistisch, das andere eher gemäßigt-modern. In Sénanque verarbeitet der 1968 geborene Flötist Andreas Mazur seine Eindrücke während eines kurzen sommerlichen Aufenthalts in Sénanque, einem von duftenden Lavendelfeldern umgebenen Zisterzienserkloster in der Provence. Die Besonderheit des 1993 komponierten Stücks ist die Verwendung von Pars-pro-Toto-Spieltechniken, d.h. einzelne Bauteile bzw. Bauteilkombinationen der Flöte werden als eigenständige Instrumente benutzt. Das Pars-pro-Toto-Spiel erzeugt interessante neue Klangfarben, die an ethnische Flöten denken lassen.
Mazur verwendet in Sénanque ausgiebig das Fußstück solo und die Mittelstück-Fußstück-Kombination, beide in Shakuhachi-Art angeblasen. Des Weiteren kommen vor: Tongue und Key clicks, Windgeräusche, Mehrklänge, Obertöne. Erst im letzten Abschnitt wird auf der vollständigen Flöte gespielt. Die verwendeten Pars-pro-Toto-Spieltechniken und die durch sie erzeugten, shakuhachi-ähnlichen Klangfarben passen gut zu Mazurs provenzalischen Erinnerungen und Imaginationen: schlichte mittelalterliche Klosterarchitektur, sanfte Windgeräusche, psalmodierende Mönchsgesänge.
Die spieltechnischen Hinweise Mazurs sind gut verständlich. Da die praktische Umsetzung aber nicht leicht ist, empfiehlt sich für Interessierte die Anschaffung des Kompendiums Das Pars-pro-Toto-Spiel. Neue Klänge auf Teilen der Flöte (Franfkurt/Main 2003). Detailliert und schrittweise beschreibt Mazur hier die verschiedenen Techniken und ihre speziellen Symbole in der Notenschrift. Hilfreich ist insbesondere das enthaltene Bildmaterial, aber auch die beigefügte CD (Hörbeispiele, Play-alongs). Sénanque ist ein originelles, aber sehr spezielles Stück. Es verlangt eine hohe Klangsensibilität, Experimentierbereitschaft und viel Geduld.
John Van Buren, 1952 in den USA geboren, war Kompositionsschüler von Milko Kelemen in Stuttgart und lehrt seit 1992 an der Musikhochschule Augsburg. Incandescence wurde 1980 komponiert und hat – u.a. dank Robert Aitken – in Flötenkreisen bereits eine gewisse Bekanntheit erlangt. „Incandescence“ bedeutet Weißglühen, Feuer oder brillante Leuchtkraft und meint im übertragenen Sinn auch einen hohen Grad an Emotionalität und Intensität.
Das Werk besteht aus drei Abschnitten. Es beginnt in der tiefen Lage und schraubt sich – dramaturgisch geschickt — langsam in die Höhe bis zum Höhepunkt, der „weißglühend-feurigen“ Coda. Kompositionstechnisch grundlegend sind drei voneinander unabhängige Motive, die in jedem Abschnitt variiert werden: 1. ein nach oben gerichtetes, kinetisches Motiv, 2. eine lyrische, lineare Melodie und 3. eine gebrochene, durch kurze Vorschläge gekennzeichnete Figur.
Das Stück ist abwechslungsreich und erzeugt eine sehr dichte Atmosphäre. Es gibt ausgesprochen lyrische, aber auch rhythmisch geprägte sowie virtuose Passagen. Metrisch gebundene und metrisch freie Teile (Space-Notation) wechseln sich ab. Auch einige neue Spieltechniken (Klappengeräusche, Blasgeräusche ohne Ton) werden wirkungsvoll einsetzt. Incandescence ist ein ausdrucksstarkes mittelschweres Stück, das eine echte Bereicherung des Repertoires für Flöte solo darstellt.
Andrea Welte