Meyerbeer, Giacomo
Semiramide
Dramma per musica
Das preiswerte Label Naxos hat sich relativ spät zu eigenproduzierten Opernaufnahmen entschlossen. Inzwischen bietet es aber sogar Mitschnitte von Aufführungen großer Häuser an. Neueren Datums ist die Serie Rossini in Wildbad.
Das württembergische Bad Wildbad ist ein beschaulicher Ort, aber sein sommerliches Rossini-Festival erfreut sich enormen internationalen Zuspruchs. Seit im Jahr 2005 das alte Kurtheater restauriert wurde, gibt es neben dem Kurhaussaal sogar eine zweite Spielstätte. Wegen begrenzter Bühnenmaße hier wie da beschränkt man sich generell auf kleinere Werke, für die oft Rossini-Spezialist Alberto Zedda zur Verfügung steht. Ergänzend wird auch das uvre von Rossinis Zeitgenossen gepflegt.
So widmete man sich 2005 der völlig vergessenen Semiramide des jungen Giacomo Meyerbeer. Genau das Richtige für den archivarisch beflissenen Dirigenten Richard Bonynge. Die Rossini-Version des Stoffes hat er vor Jahren mit seiner Stupenda-Gemahlin Joan Sutherland für die Schallplatte aufgenommen (vor kurzem neu auf CD erschienenen). Dies sei schon deswegen erwähnt, weil dieses Werk erstmals auf die Tragödie Voltaires von 1748 zurückgreift, während sich die rund vierzig Semiramis-Opern des 18. Jahrhunderts auf den Text von Pietro Metastasio stützen. Meyerbeer folgte dieser Tradition ein letztes Mal. Später sollte er ohnehin Repräsentant für das Genre der Grande Opéra werden.
Auf dem Wege dorthin, also auch bei Semiramide, bediente sich Meyerbeer aber gerne bei bekannten Vorbildern, unter ihnen Rossini. Die Wildbader Semiramide bedeutet somit nicht nur eine mutige Ausgrabung, sondern dokumentiert darüber hinaus eine operngeschichtlich und stilistisch besondere Situation.
Meyerbeers Werk (an welchem bislang sogar das Label Opera Rara vorbeiging) stellt nun freilich keine bloße Kopie von Bestehendem dar, sondern demonstriert bereits einen frühreifen Umgang mit den Möglichkeiten der Orchestersprache, mit instrumentaler Koloristik, was Bonynge mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen brillant unterstreicht. Vieles freilich klingt immer noch sehr Italianità-geprägt, und die Gesangspartien sind primär nach Belcanto-Bedürfnissen ausgerichtet. Traditionell-pauschal wirken die handlungstragenden Rezitative.
Nun muss man die Story um Liebe und Intrigen so genau nicht kennen (lernen), um Freude an dem ariosen Pomp und dem Feuerwerk der Koloraturen zu finden, für die vor allem Deborah Riedel in der Titelpartie mit kraftvoller Stimme und Olga Peretyatko (Tamiri) mit etwas zarterem Organ einstehen. Bei den Männern imponiert besonders Filippo Adami (Ircano) mit leichtem, beweglichen Tenor.
Matthias Norquet