Komische Oper Berlin (Hg.)

Selam Opera!

Interkultur im Kulturbetrieb

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Henschel, Leipzig 2014
erschienen in: das Orchester 06/2015 , Seite 68

„Endlich sprechen wir auch Türkisch.“ Die Komische Oper Berlin reagierte als erstes Opernhaus im deutschsprachigen Raum auf den Veränderungsprozess der Gesellschaft und versah alle Opern auch mit türkischen Untertiteln. Diversität leben – seit 2011 werden die Koordinaten der Hochkulturinstitution neu justiert und speziell Menschen mit türkischen Wurzeln in das Opernhaus eingeladen. Ziel ist eine interkulturelle Öffnung der Oper und des Publikums. „Selam Opera!“ (deutsch: Hallo, Oper!) dient als Willkommensgeste und Motto, unter dem eine ganze
Reihe von Modellprojekten auf Augenhöhe realisiert werden.
Der Sammelband Selam Opera! Interkultur im Kulturbetrieb dokumentiert die Vorträge des zweitägigen Symposiums, das im Frühjahr 2014 von der Komischen Oper veranstaltet wurde. Ku¨nstler, Pädagogen, Wissenschaftler, Kultur- bzw. Migrationsexperten und Unternehmer mit und ohne Migrationshintergrund waren zum kritischen Erfahrungsaustausch eingeladen.
Selam Opera! basiert auf dem Interkultur-Konzept des Publizisten und Migrationsforschers Mark Terkessidis, der für eine radikale interkulturelle Öffnung aller Institutionen plädiert. Als „Interkultur“ bezeichnet er das Programm einer Politik, die kulturelle Barrierefreiheit und gleiche Chancen auf Teilhabe für alle Individuen einer Gesellschaft der Vielheit schaffen will. Interkulturstiftend seien Maßnahmen von Institutionen, die Leitbilder, Handlungsmuster, Kommunikationsstile etc. darauf überprüfen, ob sie der Vielheit gerecht werden und einen Rahmen schaffen, in dem sich Individuen in ihrer Diversität entfalten können.
Autobiografisches, Teilhabe im Kulturbetrieb, Kulturpolitisches, Quartiersmangement, Aspekte türkischer Musikgeschichte, Verstehen von Musikkulturen, Ethnomarketing und  Personalmangement, Fördermöglichkeiten von Interkultur – der Band Selam Opera! stellt ein farbenreiches Potpourri unterschiedlicher Betrachtungsweisen der „Kultur im Zwischen“ dar. Dabei fällt auf, dass Ansätze interkultureller Musikpädagogik oder transkultureller Erziehung ausgespart bleiben. Einblicke in die interkulturelle Praxis am Opernhaus gestatten einige Seiten mit Farbfotos sowie neun Praxisbeispiele. Dazu gehört die Kinderoper Ali Baba und die 40 Räuber ebenso wie der Opern-Dolmus, ein Workshop mit einer türkisch-arabischen Vätergruppe, ein Konzert mit Maria Farantouri, ein Bericht über das interkulturell sensible Marketing der Komischen Oper und eine persönliche Reflexion des türkeistämmigen Projektleiters.
Das ansprechend gestaltete Buch leistet keine umfassende Analyse der Interkultur. Aber es zeigt Möglichkeiten auf, Audience Development mit dem Aufbau einer herzlichen Willkommenskultur und dem Bemühen um kulturelle Teilhabegerechtigkeit zu verbinden. Dass auch Probleme, Reibungen und Irrwege nicht verheimlicht werden, ist sympathisch. Selam Opera! ist geprägt von einer Haltung des Fragens, der Experimentierfreude und der Offenheit. Es liefert Impulse für einen Perspektivenwandel im Kulturbetrieb und in der Gesellschaft, ohne alle Fragen zu beantworten. „Viel bleibt zu tun – der Weg ist das Ziel.“
Andrea Welte