Helmut Lachenmann
Schwankungen am Rand
Lachenmann Perspektiven 3, DVD-Reihe zum Orchesterwerk Helmut Lachenmanns, Musik der Jahrhunderte
Eine DVD mit dem Vermerk „Lehrprogramm“ auf dem Cover assoziiert didaktisch vermitteltes Wissen, in diesem Falle womöglich die theoretische Einführung in das Werk Helmut Lachenmanns mit erhobenem Zeigefinger und physikalischen Erläuterungen der besonderen Spieltechniken. Stattdessen entpuppt sich die dritte von sieben DVDs der Reihe Lachenmann Perspektiven sofort als unterhaltsame, informative und mit hübschen Details gespickte Sammlung von Probenszenen und einem abschließenden Konzert.
Auch Helmut Lachenmann selbst kommt gleich zu Beginn zu Wort und beschreibt sein 1975 entstandenes Werk Schwankungen am Rand klar und ein wenig kauzig. Dass das Backpapier des Kompositionsjahres, das besonders delikat raschelte und knisterte, nun nicht mehr zu finden sei und seine Frau ihm stattdessen modernes Backpapier besorgt habe, das aber doch anders zu handhaben sei, um den gewünschten akustischen Effekt zu erzielen, ist ihm dabei sehr wichtig. Und er gesteht, dass Naturgeräusche ihn immer inspiriert haben: „Ich weiß nicht, ob ein Komponist so viel Fantasie hätte wie die Natur. Da bin ich in der Tradition von Gustav Mahler.“
Die DVD besteht aus drei Hauptteilen: Lachenmann selbst erläutert dieses Werk, viele Probenszenen illustrieren Details der Arbeit zweier Ensembles am Werk und abschließend folgt die komplette konzertante Aufführung.
Das Ensemble Modern Orchestra (Ltg.: Brad Lubman) und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (Ltg.: Emilio Pomàrico) wurden, unabhängig voneinander und an verschiedenen Orten, bei den Proben des Werks gefilmt. Präzise Anweisungen Lachenmanns und möglichst genaue Umsetzung der Musiker, aber auch das Engagement, mit dem in diesen Proben gearbeitet wurde, machen beim Zuschauen Freude. Das Donnerblech beispielsweise, gern als grummeliges Spielzeug der Schlagzeuger für grelle Effekte belächelt, kommt beachtlich sensibel zum Einsatz. Gerade in den Probenausschnitten des Ensemble Modern erhält es viel Raum, um seine ganze ungewohnte Pracht den Wünschen Lachenmanns gemäß zu entfalten. Die Handhabung des Bogens der Streichinstrumente demonstriert Lachenmann, agil und wach, selbst. Es wird deutlich, wie genau seine Klangvorstellungen sind und wie wichtig es ist, diese möglichst korrekt umzusetzen, damit die Musik ihre ganze Farbigkeit und Delikatesse entfaltet. Das Bespielen der Klaviaturen der Flügel mit einem akustisch passenden Plastikbecher wird ebenso zelebriert wie das Knüllen des Backpapiers.
Das abschließende Konzert – hier ist das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin zu sehen und zu hören – ist für Auge und Ohr ein Genuss. Erstklassig gespielt und durch gut geschnittene Perspektiven sauber aufbereitet wirkt alles frisch und spannend bis zum letzten Ton. Diese DVD ist Teil einer Reihe, die das Werk Lachenmanns späteren Generationen dokumentarisch erhalten will. Sprecher oder Kommentatoren treten löblicherweise nicht auf.
Heike Eickhoff