Schubert Epilog

Werke von Luciano Berio, Aribert Reimann, Hans Werner Henze, Hans Zender, Kurt Schwertsik

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Tudor 7131
erschienen in: das Orchester 12/2004 , Seite 88

Mit diesen drei thematisch aufeinander aufbauenden CDs kehren die Bamberger Symphoniker in die Spitzengruppe der deutschen, ja europäischen Orchester zurück. Gegründet 1946 hauptsächlich aus Mitgliedern des ehemaligen Deutschen Philharmonischen Orchesters aus Prag, kannten die „Bamberger“ rühmliche Zeiten etwa unter Chefdirigent Joseph Keilberth (von 1950 bis zu seinem Tod 1968), den viele der Musiker noch aus Prag kannten. Erst seit Januar 2000 weht mit dem jungen Engländer Jonathan Nott ein frischer Wind am Chefpult, und die nach dem Ende des Kalten Kriegs bereits ernsthaft in ihrem Bestand bedrohten Bamberger Symphoniker sind inzwischen als „Bayerische Staatsphilharmonie“ gerettet.
Eine gewissermaßen altösterreichische Tradition zeitgemäß in die Gegenwart fortzuschreiben, dieser Anspruch lässt sich auch am Inhalt der drei neuen CDs ablesen. Schubert und die Folgen: Da stellt sich zunächst die Frage nach dem Schubert-Bild. Dessen erste, dritte und siebte Sinfonie erklingen wie ein Kompendium der Schubert-Interpretation im 20./21. Jahrhundert: Man findet hier die souveräne Leichtigkeit eines Günter Wand wieder, die Klarheit eines Carlos Kleiber oder die Unerbittlichkeit eines Nikolaus Harnoncourt – nicht als Imitation, sondern als prinzipiell gelungener Versuch einer sehr sorgfältig gearbeiteten Synthese. Die „Unvollendete“ erklingt sogar einschließlich 29 Sekunden Scherzo-Fragment.
Die Musik von Gustav Mahler wäre ohne Schubert nicht denkbar. Seine im Oktober 1904, also vor nun hundert Jahren im Kölner Gürzenich uraufgeführte
5. Sinfonie ist der Prüfstein jedes Mahler-Verständnisses. Der Komponist nannte sie gar ein „verfluchtes Werk“, das „niemand capiert“. Für die Bamberger Symphoniker ein bewundernswerter Griff nach den Sternen, bravourös bewältigt. Nirgends verlässt das Orchester seine Klangschönheit, virtuose Kraft und Charakterisierungskunst. Aber wie fast jede Mahler-Einspielung lässt auch diese winzige Wünsche offen. Die Übersicht des Dirigenten, die exzellente Akustik des 1993 bezogenen neuen Joseph-Keilberth-Saals („Sinfonie an der Regnitz“), die durchdachte Aufnahmetechnik des Bayerischen Rundfunks und die SACD-Mehrkanaltechnik (mein Rezensionsexemplar zeigte, auf dem gewöhnlichen CD-Spieler laufend, einige Aussetzer) verhindern nicht, dass die Artikulation und die Struktur an einigen Stellen etwas prägnanter sein könnten.
Nach 1975 entdeckten dann die Komponisten nach den ihrerseits auf Schubert zurückgehenden Brüchen Mahlers auch jene Schuberts. Ein paar erstklassige Beispiele dafür bietet die CD Schubert Epilog, allen voran das gut 34-minütige Werk Rendering per Orchestra, in dem der 2003 verstorbene Luciano Berio 1988 bis 1990 Schuberts Skizzen zu einer zehnten Sinfonie D-Dur nicht nur ergänzte, sondern auch an einigen der „Leerstellen“ mit von ferne fremd Flirrendem füllte. Unter anderem geistern das für Schubert wie Mahler typische Doppelschlag-Motiv und ein „Wunderhorn“-Tonfall durch die Partitur.
Ähnlich altmeisterlich die Metamorphosen über ein Menuett von Schubert (cis-Moll D 600) für zehn Instrumente von Aribert Reimann und die Orchesterfantasie Der Erlkönig aus dem Cocteau-Ballett Le fils de l’air von Hans Werner Henze, beide komponiert zu Schuberts 200. Geburtstag 1997. Während Reimann Schubert-Zitate in seine eigene Klangsprache integriert, braucht Henze nur ein paar Anspielungen.
Gewissermaßen den umgekehrten Weg ging Hans Zender 1985 in seinen Schubert-Chören 1-4: Er instrumentierte analytisch den Klavierpart von vier Chorwerken, sodass Klangfarbe und Struktur in eins fallen, wobei er sich aber keineswegs „der Reihentechnik Schönbergs und Weberns bediente“, wie Ellen Kohlhaas im Beiheft fälschlich behauptet. Dies würde sich auch nur auf die Ebene der Harmonik beziehen, allenfalls kann man hier von einem quasi-seriell übergreifenden Denken sprechen. Nur im Männerchor Der Gondelfahrer fügte Zender bitonale und polyrhythmische Irritationen hinzu, um das Geisterhafte der Venedig-Vision zu betonen. Dagegen erscheint der Epilog zu Rosamunde op. 33 (1978) des Wieners Kurt Schwertsik so ungebrochen, dass er fast unschubertisch wäre, bräche nicht das Finale so unvermittelt ab wie Schuberts Leben.
Fast überflüssig zu betonen, dass Jonathan Nott, der ja auch musikalischer Leiter des Ensemble Intercontemporain ist, ein sicherer Lotse auch durch diese Stücke ist – in den Zender-Chören zusammen mit dem zuverlässigen Chor der Bamberger Symphoniker und dem Tenor Carsten Süss.
Ingo Hoddick