Schubert Dialog

Werke von Mantovani / Rihm / Schnebel / Widmann

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Tudor 7132
erschienen in: das Orchester 02/2006 , Seite 86

Die Schubert-Dialoge der vier Komponisten verlaufen äußerst unterschiedlich und lassen den Namensgeber sich nur verschlüsselt äußern. Lediglich in Dieter Schnebels Schubert-Phantasie schimmert das verehrte Vorbild gelegentlich durch und bildet damit eine akustische Analogie zu Gustav Klimts „verschleiertem“ Gemäldeentwurf Schubert am Klavier, der als Coverillustration Verwendung findet. Schnebel zitiert in seiner 1978 entstandenen und 1989 revidierten Komposition durchaus erkennbar aus Schuberts später G-Dur-Klaviersonate op. 78, womit er sich trotz – oder gerade wegen – des diffus-numinosen Klangbilds der romantischen Tradition noch am ehesten verbindet.
Eingeleitet wird der Schubert-Dialog durch Jörg Widmanns 2003 entstandenes Lied für Orchester, das insofern ein wenig neben dem gestellten Thema „Schubert“ zu liegen scheint, als viel ohrenfälligere Bezüge zu Gustav Mahler erklingen. Aber es gibt ja durchaus Brücken zwischen schubertscher und mahlerscher Melodik. Man kann es also auch, in Abwandlung des berühmten Waldstein-Zitats, als Schuberts Geist aus Mahlers Händen betrachten. Widmann ist mit seiner Komposition eine sehnsuchtsvolle Metamorphose voller fragiler Idyllen gelungen, die für das schubertsche Suchen, Sich-Verirren und Wiederfinden stehen.
Demselben Jahr wie die Schubert-Reverenz Schnebels entstammt Wolfgang Rihms Erscheinung, eine „Skizze über Schubert“ für neun Streicher und Klavier ad libitum. Das Frappierende an Rihms Komposition ist ihre Dialektik: Er nähert sich Schubert, indem er sich von ihm entfernt, er konstruiert mit der für Schubert gänzlich untypischen Streicherbesetzung eine Art Anti-Schubert. Aus diesem Gegenmodell heraus lässt er aber Schubert auf dieselbe Weise erkennbar werden, wie sich Helles durch die Abwesenheit des Dunklen, Stille durch die Abwesenheit von Geräuschen definiert und umgekehrt. Rihm nennt es „schubertsche Sprachfetzen aus dem gegenwärtigen Moment heraus neuzustammeln“. Für ihn ist das ganze gleichsam eine Séance, bei der Schubert so lange beschworen wird, bis er endlich „erscheint“ und sich in fetzenhaften Rhythmen zu erkennen gibt.
Bruno Mantovanis Schubert-Beitrag Mit Ausdruck entstand 2003 für die ungewöhnliche Besetzung mit Bassklarinette und Orchester. Mantovani macht keinen Hehl aus seiner Vorliebe für den Jazz, und so ist – unter Verwendung der Begleitfiguren zu acht Schubert-Liedern – ein ebenso schwelgend-virtuoses wie farbenreiches Crossover entstanden, das an den Solisten (hier: der glänzende Alain Billard) höchste Ansprüche stellt.
Die Bamberger Symphoniker unter Jonathan Nott behaupten mit dieser brillanten Einspielung aller vier Werke nachdrücklich ihren Platz unter den ersten deutschen Klangkörpern und machen diese CD zu einem Ereignis.
Friedemann Kluge