Werke von Blassnigg, Jasbar, Baur, Trenkwalder und Zwerger

Schöpfung und Exodus. Neue Kompositionen für Kammerorchester

Christian Reiner, Thomas Lackner (Sprecher), Simon Reitmaier (Klarinette), Ramón Jaffé (Violoncello), Tiroler Kammerorchester InnStrumenti, Ltg. Gerhard Sammer

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Helbling, ISBN: 9783990698396
erschienen in: das Orchester 6/2023 , Seite 75

Der Titel des Albums verrät nicht, dass die fünf Werke nicht-liturgische Sakralkompositionen sind. Sie entstanden für zwei Konzertprojekte des Tiroler Kammerorchesters InnStrumenti – „Schöpfung“ und „Exodus“ lauteten Titel und Thema der Uraufführungen im Rahmen der Konzertreihe „musica sacra“. Die CD ist ein hörenswertes Dokument über vielgestaltige Ausdrucksmittel von sich als religiös verstehender Musik der Gegenwart.
„Schöpfung“ meint auch einen spirituellen Dualismus. Doch nur Franz Baur (*1958) riskiert die christliche Kontrastschärfe eines absoluten Guten und Bösen. Sein einsätziges anElysion durchmisst die Ungerechtigkeit zwischen fast paradiesischen Lebensbedingungen für einen Teil der Weltbevölkerung und antihumanen Entwicklungen durch Gewinnmaximierung und militärische Konflikte. Simon Reitmaiers Klarinettensoli verleihen hier diesen existenziellen Fragen mit elegischen Klängen Ausdruck.
Katharina Blassnigg (*1979) erschafft für creatio continua („die fortgesetzte Schöpfung“) einen Kontrast zwischen dem Solo-Streichquartett hinter den Hörenden und dem größeren Ensemble vor ihnen. Es entstehen Klangbewegungen von unten nach oben. Es ist signifikant, dass Blassnig die Beschreibung physisch-naturwissenschaftlicher Prozesse und damit das säkulare Wort „Evolution“ vermeidet. Ihre Komposition lehnt ein rein rationales Welterleben ab.
Ein spirituelles und kühnes Melodram setzt der Weltmusik-Pionier Helmut Jasbar (*1962). Seine Bezugnahme auf den Schöpfungsbericht und andere Mythen vor Haydn in Die Schöpfung. Beta-Version zeigt die Abkehr vom Glauben an systemische Vollkommenheit: „Wie kommt die Welt zur Welt?“ Ist sie ein zu früh in die Eigenfunktionalität entlassenes Produkt …? Jasbars kontrastreiche Universalmusik beginnt mit einem fast tänzerischen, langsamen Satz. Neben dem subjektiven Schöpfungsprotokoll spiegelt sie die Zerklüftung der Welt mit Dissonanzen, Getriebenheit, klagenden Instrumentalsoli und sehnsuchtsvollen Harmonien.
Bewegt und empathisch sind die zwei Beträge zu „Exodus“. Dieses Wort für „Auszug“ und „Aufbruch“ bedeutet auch die inhaltliche Linie zwischen einem Startpunkt und einem geografischen Ziel. In seinem Exodus verschränkt Andreas Trenkwalder (*1986) die musikalischen, instrumentierenden Ebenen für Solocello, Kammerorchester-Kollektiv und Elektronik mit Textsplittern über Wanderbewegungen und Hoffnungen aus verschiedenen Epochen. Manuel Zwerger (*1992) kombiniert in Das gelobte Land zwei Textebenen – Worte aus der Bibel und des Journalisten Emran Feroz. Beide Exodus-Kollagen akzentuieren mehr die Gemeinsamkeiten als die Kontraste zwischen den Zeiten. Die Ebenen eines religiös verstandenen und beklemmend realen „Exodus“ verschmelzen.

Roland Dippel

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