Illés, Márton

Scene polidimensionali X “Vonalterek”

für Klarinette, Viola und Klavier, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2010
erschienen in: das Orchester 05/2011 , Seite 71

Márton Illés wurde 1975 in Budapest geboren und verfolgte eine Doppelkarriere als Pianist und Komponist. Sein Ausbildungsweg führte ihn von Györ nach Basel. Komposition studierte er ab 1997 bei Detlev Müller-Siemens und ab 2001 bei Wolfgang Rihm an der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe, wo er seit 2005 selbst Musiktheorie unterrichtet. Von den vielen Auszeichnungen sei hier nur der wichtige Komponisten-Förderpreis des „Ernst von Siemens Musikpreises“ erwähnt, den er 2008 erhielt.
Neben seiner neuesten, Aufsehen erregenden Kammeroper Die weiße Fürstin hat sich Illés schwerpunktmäßig der Ensemble- bzw. Kammermusik gewidmet. So ist die vorliegende Partitur das zehnte Werk, das er 2005 für sein eigenes Kammerensemble „Scene polidimensionali“ geschrieben hat. In dieser Werkreihe hat er für die unterschiedlichsten Besetzungen komponiert, dabei aber seine kompositorische Grundidee, die Gestaltung von „Linien“, weitestgehend beibehalten.
In Scene polidimensionali X „Vonalterek“ (Vonalterek = Linienräume) laufen zunächst drei Linien in sehr dichter Sechzehntelbewegung und kleinschrittiger Tonfolge gehetzt nebeneinanderher, werden zu ausgreifenden Bögen, kommen aber auch zu gemeinsamen Atempausen, ehe sie in extremer Höhe abbrechen und nur noch ein mit dem Fingernagel geriebener leiser Tremoloklang einer Klaviersaite stehenbleibt. Mit trockenen metallischen Tonrepetitionen von Viola und Klavier und Tönen mit hohem Luftanteil der Klarinette kontrastiert die zweite Szene zum energiegeladenen Anfang. Im weiteren Verlauf bildet sich aus einem Viertonfeld nach gemeinsamen Aktionen Individuelles heraus, clusterartige Akkorde führen das Klavier aus der Eindimensionalität. Unregelmäßige Tonwiederholungen der Klarinette in dichtestem Staccato, das im schnellstmöglichen Tempo zu spielen ist, bilden zunächst eine einzige Linie, in die sich dann in gemäßigterem Tempo Viola und das Klavier einfügen. Nach einer Steigerung bricht die Musik ab, um im letzten Teil zu einem weitgedehnten spannungsvollen Unisono von Viola und Klarinette zu werden, zu dem das Klavier eine dichte, sich bis in den Diskant nach oben schiebende und zu trockenem Klang erstarrende Klangfläche hinzufügt.
Illés zeichnet durchweg klare Konturen, die individuelle Klangfarbe der Instrumente und deren erweiterte Klangmöglichkeiten stehen in dieser Partitur nicht im Fokus. So beschränkt sich die Verwendung besonderer Spieltechniken im Klavierpart überwiegend auf im Innern des Instruments abzudämpfende Saiten. Von der Viola wird eine spezielle Art eines Pizzicatos gefordert, während sich der Klarinettenpart mit Flatterzungeneffekten und Slaptongue begnügt.
Scene polidimensionali X „Vonalterek“ ist eine hochvirtuose und expressive Musik mit einer Spieldauer von gut zehn Minuten, die das Repertoire für die von Mozart in seinem „Kegelstatt-Trio“ begründete Besetzung von Viola, Klarinette und Klavier um eine aussagekräftige Komposition für ein professionelles Ensemble erweitert, deren Einstudierung dank der sehr guten Lesbarkeit und Ausstattung der Einzelstimmblätter mit Stichnoten drucktechnisch keine Hindernisse im Weg stehen.
Heribert Haase