Lutyens, Elisabeth

Scena

for Violin, Violoncello and Percussion op. 58, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2005
erschienen in: das Orchester 07-08/2006 , Seite 89

Der Name Elisabeth Lutyens dürfte hierzulande nur wenigen ein Begriff sein. Dabei genügt ein kurzer Blick auf Leben und Werk dieser ungewöhnlichen Komponistin, um bei jedem Musikinteressierten mit Forscherdrang zumindest Neugier auszulösen: In Paris studierte sie Viola, vertonte das Buch Hiob im Stil von Brahms und führte eigene Werke im Rahmen einer gemeinsam mit zwei Kommilitoninnen gegründeten Konzertreihe auf.
Ihre Adaption der Zwölftontechnik Ende der 30er Jahre war angesichts der beinahe vollständigen Abwesenheit von Schönberg und Webern im damaligen Musikleben Englands ebenso überraschend wie radikal. Als „Twelve-Note Lizzie“ zunächst belächelt, nahm sie in Großbritannien eine ähnliche Pionierstellung ein wie Luigi Dallapiccola in Italien, Réne Leibowitz in Frankreich oder Karl Amadeus Hartmann in Deutschland. Um ihre Familie über Wasser zu halten, schrieb sie aber auch kommerzielle Radio-, Theater- und Filmmusiken (noch heute erhältlich: Die Todeskarten des Dr. Schreck mit Christopher Lee und Peter Cushing). Ihr Lebensstil war opulent und ihr Verhalten oft exzentrisch. Dylan Thomas war ihr Untermieter und Trinkgenosse. Erst spät begann man sich für ihre stark intellektuell geprägten Arbeiten zu interessieren. 1983 starb sie im Alter von 76 Jahren in London, zuletzt geehrt als „Companion of the Order of the British Empire“ und mit einer langen Liste zumeist unbekannter Werke im Nachlass.
In der Edition Schott ist mit der Scena op. 58 aus dem Jahr 1964 jetzt eines von Lutyens zahlreichen Kammermusikwerken als Nachdruck der englischen Originalausgabe wieder auf den Markt gekommen. Die (neue) Besetzungsangabe „for Viola, Violoncello and Percussion“ ist allerdings ein Irrtum: Das Stück verlangt nach wie vor keine Bratsche, sondern eine Violine. Die Partitur ist handschriftlich, aber deutlich lesbar und offenbart einen höchst verfeinerten, individuellen Stil, in dem sich die strukturelle Subtilität der Webern-Nachfolge mit den klanglichen Raffinessen eines erweiterten Schlagzeugapparats verbindet.
Das „Szenische“ der Komposition zeigt sich vor allem in der wechselnden Position des Schlagzeugers, der sich im Laufe des Stücks zwischen drei räumlich getrennten Aufbauten hin- und herbewegt. Seine sich klanglich zunehmend „konkretisierende“ Wanderung von links nach rechts (erst mit „diffusen“ Becken und Gongs, dann mit „markanten“ Trommeln, schließlich mit den exakten Tonhöhen von Vibrafon und Marimba) und wieder zurück spiegelt zugleich das von Lutyens häufig verwendete Palindrom des inneren Formverlaufs: Nach dem kontrastierenden Mittelteil des zweiten Satzes läuft zunächst das vorhergehende Allegro, dann auch das einleitende Lento als Coda krebsgängig zurück, um freilich lange vor dem tatsächlichen Wiedererreichen des Anfangs fast unmerklich zu versiegen – als wäre bereits alles gesagt.
Zu Elisabeth Lutyens wäre sicher noch vieles zu sagen. Die Publikation weiterer Werke könnte dazu ein willkommener Anlass sein.
Joachim Schwarz