Werke von Eötvös, Haas, Baltakas und Staud
Sax – contemporary concertos for saxophone
Marcus Weiss (Saxofon), Teodoro Anzellotti (Akkordeon), WDR-Sinfonieorchester, Ltg. Elena Schwarz, Emilio Pomàrico, Windkraft Tirol, Ltg. Kasper de Roo
Marcus Weiss gehört zu den international renommiertesten Solisten am klassischen Saxofon. Auf seinem neuen Album präsentiert er nun vier ausgewählte Saxofonkonzerte des 21. Jahrhunderts – oder allgemeiner gesagt: vier Werke für Saxofon mit Orchester. Alle hat er selbst uraufgeführt, zwei von ihnen erklingen hier als Ersteinspielung.
Peter Eötvös’ Focus (2021) entspricht am meisten den gängigen Vorstellungen von einem Solistenkonzert. Viersätzig stellt es das Saxofon ganz in den Vordergrund, gibt ihm virtuose melodische Linien zu spielen, lässt auch Raum für schöne Klanginseln. Das Orchester kommentiert und befeuert den Solisten mit impulsiven Einwürfen, häufig rhythmisch und perkussiv oder mit stakkatierenden Blechbläsersalven. Kraft und Puls der Musik erinnern zuweilen an die Direktheit des Jazz, ohne Jazz zu zitieren. Das Solo-Instrument ist das Tenorsaxofon, für Weiss „das Jazzinstrument schlechthin“ – kraftvoll, aber zu singenden Tonschleifen befähigt. An den (wenigen) lyrisch-leisen Stellen wechselt der Solist aufs Sopransaxofon.
Ganz andere Wege geht das Konzert für Baritonsaxofon und Orchester (2008) von Georg Friedrich Haas. Als Mikroton-Spezialist ist Haas vor allem am Obertonverhalten des Saxofons interessiert, an den vielfachen Möglichkeiten des Mehrklangspiels, das bei diesem Instrument eine geradezu körperliche Präsenz haben kann. Die einsätzige Komposition (über 20 Minuten lang) übersetzt das mikrotonale Potenzial der „Multiphonics“ in musikalische Abläufe, bindet es ein in orchestrale Klangflächen und Klangballungen.
Jeweils ganz eigenen Charakter besitzen auch Vykintas Baltakas’ Saxordionphonics (2013) und Johannes Maria Stauds Violent Incidents (2005/06). Baltakas’ Stück ist ein Doppelkonzert für Sopransaxofon, Akkordeon (Solist: Teodoro Anzellotti) und Kammerorchester. Es hat einen fragilen Charakter, stockend und sphärisch, mit vielen Generalpausen. Nur allmählich lösen sich die Solisten aus dem Orchesterklang, befreien sich in nervösen Figuren. Stauds Stück wiederum wird von einem reinen Bläserensemble und Schlagzeug begleitet (Windkraft Tirol). Die bläserbetonte Klanglichkeit bringt erneut eine Annäherung an den Jazz – zwar ohne Jazz-Imitation, aber mit starkem Gewicht auf Puls, Bewegung, Dynamik. Wie bei Eötvös ist das Soloinstrument hier das „jazzige“, auch „hauchende“ Tenorsaxofon.
So konzeptionell unterschiedlich die vier Konzerte sind, die Marcus Weiss gewählt hat: Jedes von ihnen bietet überzeugende Facetten gegenwärtigen Komponierens fürs Saxofon. Mit diesem Album nimmt das Instrument, das fürs klassische Orchester „zu spät“ kam, Aufstellung für die Zukunft. In den Händen von Meistern wie Marcus Weiss sollte diese Zukunft eine glänzende werden.
Hans-Jürgen Schaal