Werke von Bach, Jobim, Villa-Lobos u. a.

SamBach

Orquestra Johann Sebastian Rio, Ltg. Linus Roth (Violine)

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Evil Penguin
erschienen in: das Orchester 03/2024 , Seite 67

Das brasilianische Orquestra Johann Sebastian Rio versteht es, klassische Musik für ein breites Publikum unterhaltsam auf die Bühne zu bringen. Dieses Kammerorchester spielt ohne Dirigent, wie es im Barock üblich war, und verwendet ein Cembalo, wenn ein Tasteninstrument benötigt wird. Sein Repertoire reicht von Vivaldi bis Piazzolla. Der deutsche Violinvirtuose Linus Roth lernte das Orchester zufällig kennen; daraus entstand eine intensive Zusammenarbeit, deren Ergebnis mit der CD SamBach vorgelegt wird. Neben Bachs E-Dur-Violinkonzert enthält sie Arrangements für Solovioline und Orchester von populären Songs brasilianischer Komponisten zumeist der Bossa Nova, z. B. so berühmte Stücke wie Jobims Samba de una Nota Só oder Abreus Tico-tico no Fubá. Dass Bach und Samba gut funktionieren können, belegt das brasilianische Orchester in seinen zahlreichen YouTube-Videos.
Wie passt das aber mit einem deutschen Solisten zusammen, der in seiner Ausbildung fernab von brasilianischer Bossa Nova hauptsächlich von der russischen Violinschule geprägt wurde? Leider nicht so gut. Das beginnt bei Bachs E-Dur-Violinkonzert: Roths Violinton ist sicherlich „schön“ in dem Sinn, dass er sich ausgeglichen, weich und ohne Brüche anhört. Aber nach einigem Zuhören stellt sich eine gewisse Langweile ein, da die Musik nicht differenziert, spannend und lebendig artikuliert wird. Diese Bachspielweise, die eigentlich schon längst überwunden ist, überträgt sich auf das Orchester, das in anderen Aufführungen viel lebendiger spielt, und so geht das verloren, was der Hörer von einem „Samba-Bach“ erwarten würde: rhythmische Raffinesse.
Im brasilianischen Teil des Programms überzeugt Roth als Interpret von Unterhaltungsmusik. Er spielt sehr virtuos, sein Ton ist einschmeichelnd und voller Sinnlichkeit. Doch man kann mit diesem Gestaltungsansatz zwar wunderbar Fritz Kreislers Schön Rosmarin spielen, nicht aber brasilianischen Samba. In einigen Stücken, etwa Marcos Valles Samba de Verão oder Noel Rosas Gago Apaixonado trifft er anfangs überzeugend den Sambarhythmus. Doch im weiteren Verlauf hält er die rhythmische Strenge dieser Musik nicht durch, sondern übertüncht sie mit dem großen, wenig flexiblen Ton, als ob er Wiener Schlagobers über brasilianischen Caipirinha sprühen würde.
So positiv der Ansatz dieser CD zu bewerten ist, europäische Klassik mit südamerikanischer Bossa Nova in einen Dialog zu bringen, das Ergebnis ist zwiespältig. Um im Bild zu bleiben: Samba und Bach reden hier aneinander vorbei. Noch ein Wort zum CD-Beiheft: Es ist jetzt Mode geworden, dass Solisten sehr persönlich über ihre CD schreiben. Der CD-Käufer erhält dadurch kaum Informationen über die Musik und die Komponisten. Dies ist bedauerlicherweise ein Grund weniger, sich eine CD zu kaufen, und ein Grund mehr zu streamen, was auch billiger ist.
Franzpeter Messmer