Richard Strauss

Salome

Live Recording. Live Recording. Emily Magee, Wolfgang Koch, Peter Bronder, Michaela Schuster, Benjamin Bruns, hr-Sinfonieorchester, Ltg. Andrés Orozco-Estrada

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Pentatone
erschienen in: das Orchester 04/2018 , Seite 66

Von der Spieldauer her ist es wahrscheinlich eine der längsten Salome-Interpretationen, die ich auf Tonträger und Bühne erlebt habe. Das hat sicherlich damit zu tun, dass Andrés Orozco-Estrada die durchaus zahlreich vorhandenen lyrischen Passagen dieser Oper sehr genüsslich auskostet und manchmal regelrecht „zelebriert“. Das muss kein Nachteil sein, ermöglicht es doch umso wirkungsvollere Kont­raste zu den dramatischen Schlüsselszenen und den exaltierten Stellen des Werks. Man würde Orozco-Estrada, der hierzulande ja fast ausschließlich als Konzertdirigent bekannt ist, gerne auch mal am Pult eines Opernhauses erleben.
In der Partitur findet sich bei einer größeren Solostelle am Ende der dritten Szene auf Seite 125 der Hinweis des Komponisten: „Wenn der Contrafagottist nicht vorzüglich, ist die ganze Solostelle (eine Oktave tiefer) vom ersten Fagott auszuführen.“ Das ist hier natürlich überhaupt nicht nötig, denn nicht nur der Kontrafagottist, sondern alle Musiker des hr-Sinfonieorchesters sind „vorzüglich“. Perfekt in allen Gruppen, gestalten sie die Musik vielleicht inspirierter, als manches Opernorchester es in seiner Routine erreichen kann.
Emily Magee in der Titelpartie überzeugt durch eine intensive Darstellung, mit sicherer Höhe (nur we­nige Intonationstrübungen im Schlussgesang) und eleganten Phrasierungen, sensibel in den Pianopassagen. Peter Bronder liefert eine beeindruckende Charakterstudie des Herodes, und das im Vollbesitz seiner stimmlichen Kräfte, was leider nicht bei allen Herodes-Darstellern selbstverständlich ist. Ähnlich Positives gibt es über Michaela Schusters Herodias zu berichten, die weniger das keifende Weib gibt als die verletzte Ehefrau. Wolfgang Koch hat im Jochanaan sicherlich seine Idealrolle gefunden, da es hier nicht so viel ausmacht, dass er bei perfektem Stimmsitz und großem Volumen eigentlich nur wenig Klangschattierungen zu bieten hat. Benjamin Bruns ist als Narraboth eine Idealbesetzung, denn sein jugendlicher Heldentenor mit wunderbar lyrischem Schmelz eignet sich für diese Partie optimal. Ein Genuss ist die Szene der fünf Juden, die als komisches Element auch diese Aufnahme willkommen bereichert. Die anderen kleineren Rollen sind ebenfalls sehr gut besetzt, wobei nicht nur Sung Ha als Erster Nazarener, sondern auch Torben Jürgens als Erster Soldat mit einer sehr profunden Stimme aufhorchen lassen.
Da auch Tontechnik und Abmischung perfekt sind, hat dieser Livemitschnitt vom September 2016 aus der Alten Oper Frankfurt durchaus seinen Stellenwert neben den zahlreichen anderen Salome-Aufnahmen.
Im Booklet, in dem im Einführungstext zur Oper von „100 hochverdichteten Minuten Musik“ die Rede ist (tatsächlich sind es in dieser Aufnahme 113 Minuten), finden sich neben dem Libretto in deutscher und englischer Sprache nähere Informationen nur zum Dirigenten und der Sängerin der Titelpartie. Und auf der Rückseite steht: „Sit back and enjoy.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Thomas Lang