Henze, Hans Werner
Sämtliche Violinkonzerte
Hans Werner Henzes Ausnahmestellung unter den deutschen Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts manifestiert sich nicht nur in seiner fast durchgängigen Beschäftigung mit der Gattung der Sinfonie, die in einer lange von der Darmstädter Schule geprägten Musiklandschaft obsolet geworden zu sein schien, Henzes Interesse am Konzert, besonders dem Violinkonzert, umfasst zudem weite Strecken seines Komponistenlebens. Die drei Violinkonzerte des Komponisten, 1948, 1971 und 1997 entstanden, markieren Eckpunkte seines Schaffens, von denen sich durchaus Rückschlüsse auf die Gesamtheit seines Werkes ergeben. Dabei ist in allen Konzerten, wenngleich aus durchaus unterschiedlichen Gesichtspunkten, immer eine Auseinandersetzung mit der Gattung und ihren Traditionen mitkomponiert.
Das erste Konzert, noch zu Studienzeiten bei Wolfgang Fortner entstanden, zeigt einen jungen, hochbegabten Komponisten auf der Suche. Das viersätzige Werk wird zwar von einer Zwölftonreihe eingeleitet, ist aber, wie Henze später unterstrich, noch nicht von der Zwölftontechnik geprägt, mit der der Komponist zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vertraut war. Bei allem Suchend-Schweifenden, auch Ungeformten was diese Komposition noch prägt, der Gestaltungswille, aber auch das Vermögen, für die Violine zu schreiben, ist dennoch immer spürbar.
Ist das erste Konzert noch ein prägnantes Beispiel des Frühwerks, so nimmt das zweite Konzert von 1971 eine ganz andere Stellung im Gesamtwerk ein. Henzes politische Erfahrungen ebenso wie seine Theaterarbeiten prägen das Konzert für Solovioline, Tonbandeinspielungen, Bass-Bariton und 33 Instrumentalisten nachhaltig. Die Einbeziehung des vom Sänger vorgetragenen Gedichts Hommage a Gödel von Hans Magnus Enzensberger ist durchaus strukturprägend für das Werk, das eine stark theatralische Komponente hat, die beim Hören der exzellenten CD-Einspielung von Torsten Janicke nur bedingt nachvollzogen werden kann. Das Fehlen des optischen, in der Partitur indes genau angegebenen Elements bei einer CD-Produktion kann dennoch verschmerzt werden, ist die Kompetenz, mit der der Solist sowie die Magdeburgische Philharmonie unter Leitung ihres damaligen (die Aufnahme der Doppel-CD entstand im Jahr 2003) Chefdirigenten Christian Ehwald und des schmiegsamen Bassisten Ulf Dirk Mädler doch sehr überzeugend. Der ironisch gebrochene Ton des Werks kommt auch in der Interpretation von Janicke und Ehwald zum Tragen.
Noch höhere Anforderungen an die Virtuosität des Geigers werden im dritten Konzert nach Thomas Manns Roman Dr. Faustus gestellt. Die drei Sätze Esmeralda, Das Kind Echo und Rudi S. sind nicht nur vielschichtige Porträts der berühmten Romanfiguren. Das Werk ist auch in der Gegensätzlichkeit der Sätze ohne die genaue Kenntnis des Romans rezipierbar. Henze hat die virtuosen Anforderungen an den Solisten bei einer Überarbeitung der Partitur zudem noch verstärkt. Torsten Janicke, der in Dresden geboren und ausgebildet wurde und heute Erster Konzertmeister des Gürzenich-Orchesters Köln ist, verfügt über einen schlanken, sehr sicheren Ton, der auch bei heiklen Passagen nie zur Unschärfe tendiert. Sein Ton wirkt zwar nicht so groß oder gar aufgeplustert, wie man dies von Virtuosen amerikanischer Prägung heute gewohnt ist. Die Überlegenheit des Musizierens und das Engagement, mit dem er sich für die Musik Henzes einsetzt, nimmt indes sehr für seine Spielweise ein. Dies gilt auch für das Magdeburger Orchester, das sich hier als durchaus kompetent auf dem Gebiet der neuen Musik zeigt. Wie die auch klanglich ansprechend geratene Aufnahme unterstreicht, müssen es nicht immer die Spezialensembles für Musik des 20. Jahrhunderts sein, die mit diesem Repertoire auf sich aufmerksam machen können.
Walter Schneckenburger