Sacred Choral Music

Werke von Francis Poulenc, Maurice Duruflé, Ton de Leeuw, Olivier Messiaen

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms OC 540
erschienen in: das Orchester 05/2006 , Seite 86

Es ist stets ein heikles Unternehmen, die individuelle Leistung von Künstlern beurteilen zu wollen, die von Hause aus von einem größeren Kontext umgeben werden. Im Falle der Rundfunkchöre wird das Orchester häufig unwillkürlich gleich mitbedacht. Dass der Chor des Bayerischen Rundfunks auch selbstständig konkurrenzfähig ist, zeigt die zweite A-Cappella-Einspielung unter dem neuen Leiter Peter Dijkstra. Aufgenommen wurden die jeweils bekanntesten Chorwerke von Francis Poulenc, Maurice Duruflé und Oliver Messiaen sowie Prière des gebürtigen Niederländers Ton de Leeuw. Die Auswahl ist damit eine dankbare Angelegenheit für jeden am romantischen Klangbild orientierten Chor.
Der Klang ist größtenteils homogen und Dijkstras Führung kann nur als meisterhaft bezeichnet werden. Der junge Niederländer vermittelt gekonnt zwischen musikalischer Struktur und dem Ausdruckspotenzial seines Ensembles, allerdings liefern seine Interpretationen nichts völlig Ungewohntes. Nur bei exponierten Lagen einzelner Stimmgruppen oder im ausdrucksstarken Forte des gesamten Chors müssen Perfektionisten Abstriche machen, da einzelne Vibrato-Stimmen beharrlich übers Ziel hinausschießen. Dagegen bleibt besonders das Piano des Chors in Erinnerung. Es sind häufig die zurückgenommenen, verklärten, angstvollen Passagen, die den Hörer fesseln.
Schon bei Poulenc, mit seiner dauerhaften Gegenüberstellung unterschiedlichster Affekte, werden dynamisch-klangliche Bandbreite und Artikulationsvermögen des Chors auf die Probe gestellt. Unglücklich war hier die Entscheidung, die Psalmen mit einem anderen Aufnahme-Team einzuspielen als die restlichen Stücke – der klangliche Bruch ist zu deutlich und bringt Nachteile für Homogenität und Transparenz mit sich. Eine Entdeckung sind die Werke Duruflés und de Leeuws. Duruflé deswegen, weil man die „gregorianischen“ Motetten selten so „unspektakulär“ und damit im Charakter völlig stimmig gehört hat. Wunderbar transparent lässt sich der durch die Stimmen wandernde Cantus firmus verfolgen, ohne dass dafür forciert werden musste oder die Struktur zugunsten der Nachvollziehbarkeit einer einzigen Melodie aufgeweicht wurde.
Prière ist deshalb hervorzuheben, weil de Leeuw im Repertoire hierzulande sehr selten auftaucht. Die Vertonung des beeindruckenden Gebetstextes ergeht sich nicht in zeilenweise fortschreitender Tonmalerei, sondern greift vorrangig die demütige Atmosphäre auf. Mit dem strukturell einfachen, aber harmonisch meisterhaften O sacrum convivium (Messiaen) wird der positive Gesamteindruck der Produktion unterstrichen. Dijkstra zieht den Rundfunkchor nicht von Akkord zu Akkord hinter sich her (wie es dem Stück nur allzu oft ergeht), sondern entwickelt einen erstaunlich lebendigen Spannungsbogen, den die Sängerinnen und Sänger beeindruckend umsetzen.
Tobias Gebauer