Panufnik, Andrzej

Sacra

Symphonic Works Vol. 4

Rubrik: CDs
Verlag/Label: CPO 777 683-2
erschienen in: das Orchester 07-08/2012 , Seite 76

Nach ganz leisen Streichern singt das Englischhorn ein minutenlanges, schönes Lied. Ziemlich romantisch, ein bisschen verträumt und mit
einem Hauch osteuropäischem Kolorit gewürzt beginnt die Sinfonia Elegiaca (Symphony No. 2) des polnischen Komponisten Andrzej Panufnik. Dann übernehmen die anderen Holzbläser – ein sanfter, kammermusikalischer Reigen. Ein paar Hornakkorde leiten in der Satzmitte in dunklere Gefilde hinüber, die Harmonik dräut von unten herauf und die dezent begleitenden Streicher verlangen mehr akustischen Raum. Gegen Ende erheben sich die hohen Streicher und lassen den Satz fast plötzlich ersterben. Gleichwohl bleibt es ein ruhiger, eher leiser Satz, Brüche bleiben aus. Umso überraschender und wirkungsvoller beginnt nun der zweite Satz: Die Blechbläser legen kraftvoll los und sorgen, unterstützt von ganzem Streicherapparat und Piccoloflöte, für wilderes Treiben. Ein kleiner, leiser Ruhepunkt, danach ein langes Crescendo, schon geht es mit großer Spannung in die zweite Satzhälfte. Leise drängend folgt der dritte, wiederum langsame Satz.
Das Konzerthausorchester Berlin unter Lukasz Borowicz kostet all die kleinen, feinen Spielereien mit Dynamik und Melodik voll aus und spielt diese farbige Musik als das, was sie tatsächlich ist: hervorragendes kompositorisches Handwerk mit tollen melodischen Einfällen. Zugleich ist die Stärke des Werks auch seine Schwäche: Es bleibt immer schön, vermeidet Experimente und strotzt vor virtuos instrumentierten Kantilenen.
Die Sinfonia Sacra (Symphony No. 3) beginnt mit eindrucksvollen Fanfaren (Vision I). Visionen II und III sowie eine Hymne komplettieren das Werk. Die Streicher schwelgen sanft in langen Klängen, Schlagzeuger und Bläser kommen effektvoll dazu. Das passte über lange Strecken als Filmmusik und könnte beispielsweise einem antiken Wagenrennen akustisch den allerletzten Schliff verleihen. Die Hymne ist mit Abstand der längste Satz dieser Sinfonie und zeigt noch einmal alle Techniken und Klänge auf, die in den bisherigen Sätzen für so schöne Effekte gesorgt haben.
Die dritte Sinfonie dieser CD (Symphony No. 10) hat kein programmatisches Attribut im Titel. Sie startet mit harmonischer Spannung, die den ganzen ersten Satz über nicht nachlässt. Der zweite Satz nutzt dieselbe Spannung, der dritte Satz (Presto) setzt sich aus dichter werdenden Einwürfen zusammen. Hier entsteht eine hübsche Struktur, die das Ohr nett kitzelt – aber in ihrer permanenten Spannung irgendwann auch etwas ermüdend wirkt. Ein ruhiger Satz beschließt das Werk.
Panufnik hat eindeutig einen sehr persönlichen Stil gefunden. Das Handwerk beherrscht er grandios, das Berliner Orchester macht sehr gut mit. Doch sollte man nicht unbedingt alle drei Sinfonien hintereinander hören, denn dann zeigt sein Stil auch ein paar Schwächen.
Der sehr umfangreiche Text des Booklets erhellt das spannende, tragische Leben des Komponisten und lässt ihn auch selbst zu Wort kommen.
Heike Eickhoff