Tscherepnin, Alexander / Alexander Borodin
Russische Meisterwerke
Symphonie Nr. 4 / Symphonie Nr. 2 und 3
Während Borodin sich im deutschen Konzertleben immerhin mit den Steppenskizzen aus Mittelasien und den Polowetzer Tänzen aus seiner Oper Fürst Igor hinlänglicher Präsenz erfreuen darf (auch seine Streichquartette in A-Dur und D-Dur hört man gelegentlich), evoziert der Name Tscherepnin auch bei regelmäßigen Konzertbesuchern eher ein Achselzucken und führt selbst in einschlägigen Konzertführern günstigstenfalls ein höchst unverdientes Fußnotendasein.
Die vorliegende CD stellt ein Remake von Schallplattenaufnahmen aus den Jahren 1972 und 1973 dar. Enthusiastisch feiert der Booklet-Autor Eckhardt van den Hoogen Tscherepnins vierte Symphonie als eine der besten Symphonien aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (was nicht ganz schwierig ist, denn so viel an überragender Symphonik hat der genannte Zeitraum nun wahrlich nicht hervorgebracht!). Aber van den Hoogen hat natürlich Recht: Die Symphonie legt ein beredtes Zeugnis von hoher Komponierkunst ab, innerhalb derer auch das Genialische in seiner typisch russischen Färbung nicht zu kurz kommt. Um die neuromantische Klangwelt von Tscherepnins E-Dur-Symphonie mit ihrer immer wieder vorteilhaft aus dem Folkloristischen schöpfenden Melodik verbal vorstellbar zu machen, könnte der erste, fast ballettmusikartige Satz eine Hommage an Strawinsky sein (Le Sacre du Printemps grüßt von ferne), der zweite eine an Schostakowitsch und der dritte eine an Tschaikowsky ohne einen von ihnen einfach nur abzukupfern: Alles ist reinster Tscherepnin!
Buchstäblich eingerahmt wird dessen vierte Symphonie von den Symphonien 3 und 2 seines russischen Landsmanns Alexander Borodin, und obwohl die Nummer 3 in ihrer unvollendet gebliebenen Gestalt nicht zu den ganz großen Schöpfungen dieser Spezies zählt, mag man ihr doch mit einigem Genuss lauschen. Herrlich vor allem der Moderato assai überschriebene erste Satz, dessen zauberhaft-zärtliche Einleitung in manchem an die ersten Takte von Mussorgskys Boris Godunov erinnert!
Die am Ende dieser CD eingespielte h-Moll-Symphonie Borodins zählt zu den symphonischen Hits mit hohem Wiedererkennungswert insbesondere des ersten Satzes. Borodin schöpfte hier aus dem Vollen der russischen Nationalmusik mit ihrer spezifischen Harmonik und ihrer mal wilden, dann wieder dramatisch-monotonen Rhythmik. Eine Symphonie zum Berauschen!
Die Nürnberger Symphoniker intonieren unter dem wechselnden Dirigat von Günter Neidlinger und Räto Tschupp so russisch, wie ein deutsches Orchester es nur eben vermag. Eine beeindruckende Neuauflage, die hoffentlich einen Auftakt bildet, mit der diskografischen Erschließung insbesondere des Tscherepninschen uvres fortzufahren.
Friedemann Kluge