Plate, Anton
Romanze No. 1 und No. 2
für Violine solo
Wenn man Schwefelsäure geschluckt hat, wird man zur Heilung Sirup trinken, prophezeite Arthur Honegger 1952 in seinen resignativen Gesprächen mit Bernard Gavoty, das durch Nonen und Septimen gequälte Ohr wird mit Wonne Harmonikaweisen und sentimentale Lieder begrüßen. Honeggers Vorhersage hatte sich mit reichlicher Verspätung Mitte der 1970er Jahre erfüllt, als man, mit welcher Berechtigung auch immer, von neuer Einfachheit in der aktuellen Musikentwicklung zu sprechen begann. Von dieser neuen Einfachheit ist so gut wie nichts mehr übrig geblieben; die ehemaligen Protagonisten haben nicht durchgehalten: Entweder kehrten sie in den sicheren Hafen der alten Moderne als Neo-Expressionisten zurück oder trachteten nach Absicherungen im aufzehrenden Lehrbetrieb, der ihren kompositorischen Eifer letztlich lähmte.
Zu den Kompositionstalenten, die in jenen Jahren hervorzutreten begannen, ohne allerdings ganz jene Aufmerksamkeit zu gewinnen, die sie verdient hätten, zählt Anton Plate; und zu jenen Jahren führen seine beiden Romanzen für Violine solo von 1977 zurück. Plate, 1950 in Hildesheim geboren, studierte Schulmusik und Musiktheorie u. a. bei Heinrich Sutermeister und Alfred Koerpen an der Musikhochschule Hannover, wo er mittlerweile seinerseits Musiktheorie unterrichtet. 1976 weilte er als Stipendiat in der Villa Massimo in Rom, 1979 erhielt er das Niedersächsische Künstlerstipendium.
Seine beiden Romanzen verblüffen durch die Kargheit der nachgerade elementaren musikalischen Mittel und durch die Anonymität des Ausdrucks. Als Tempobezeichnungen schreibt Plate nüchtern Metronomzahlen ohne weitere Hinweise vor, dynamische Angaben sind auf ein Minimum beschränkt (in der Romanze No. 1 finden sich nur die vier Vorschriften ff, pp, wiederum ff und fff), die Rhythmik ist mit den stets nur ganz leicht variierten Widerholungen denkbar einfach, ja monoton gehalten. Die vorherrschenden Doppelgriffe in Terzen und Sexten in der Romanze No. 2 suggerieren ebenso wie die Akkordbrechungen in der No. 1 Tonalität, die sich freilich als eine Pseudotonalität erweist.
Unwillkürlich fragt man sich beim Studium der Noten der Romanze No. 1: Wo ist die Musik? Und die Romanze No. 2 wirkt in weiten Teilen wie eine Etüde in Terzen und punktierten Rhythmen. Freilich hätte hier die Interpretation der Stücke anzusetzen: als Herausforderung und wirklich lohnende Bewährung der Musikalität des Spielers. Spieltechnische Probleme bieten die Romanzen kaum, musikalische jedoch umso komplexere. Der Notendruck beider Werke ist schlechterdings bestechend: ein Genuss für das Auge!
Giselher Schubert