Romania Today 3
Irinel Anghel: Le Quasi Infini / Doina Rotaru: Uroboros II / Myriam Marbe: Sonata per due / Ulpiu Vlad: Beyond dreams V
Am Anfang ist das Unbestimmte, kaum Wahrnehmbare wie etwa das Hauchen, mit dem die Flötenspielerin ihr Instrument beseelen zu wollen scheint. Schüchternes, verhuschtes Klappenglissando und wispernde Violin-Flageoletts folgen, alsbald wagen sich vereinzelte Flötentöne hervor, ein kraftvolles Viola-Pizzicato provoziert das Akkordeon zu einem vorwitzigen Ausbruch. Diese klangliche Ursuppe tischt das Ensemble Partita Radicale zu Beginn des Stücks Le Quasi Infini der rumänischen Komponistin Irinel Anghel auf. Das im Jahr 2001 entstandene Werk versorgt die Musiker nicht mit einem fertigen Notentext, sondern lediglich mit Andeutungen, die von den Interpreten konkretisiert werden müssen. In Zusammenarbeit mit der Komponistin führte Partita Radicale die skizzenhaft formulierte Partitur in eine Endfassung über. Der weitere Verlauf des Stücks fesselt den Hörer durch ständiges Changieren der musikalischen Situationen, die Musik kulminiert in espressiven, heftigen Tutti-Ausbrüchen, die von episch-ruhigen Passagen abgelöst werden. Eine anrührende Geste auf der Viola oder auch ein seltsam holpernder, bizarrer Tanzmusikcharakter auf dem Akkordeon begegnen mehrfach und wirken dabei wie Darsteller, die sich in gespenstischen Kulissen bewegen. Irinel Anghel etabliere eine surreale Erzählstruktur, eine Grammatik des Traums, heißt es im Beiheft zur CD Romania Today 3. Auf dem Hintergrund von klanglichen Flächen werden Klangobjekte projiziert. Ohne kausale Verbindungen erscheinen sie in wechselnder Gestalt, verbinden sich zu neuen Objekten und werden zu obsessiven Phänomenen, ohne dass ihnen eine klare Bedeutung zugewiesen werden könnte.
Mit dieser CD setzt das Label ProViva eine Reihe fort, die sich dem Schaffen zeitgenössischer rumänischer Komponistinnen und Komponisten widmet. Mit Ausnahme der Sonata per due von Myriam Marbe erkunden alle auf der CD enthaltenen Werke den Grenzbereich von Improvisation und Komposition, ein Feld, das auch das spielende Ensemble erforscht. Partita Radicale wurde 1989 von Wuppertaler und Kölner Musikern gegründet und spielt in der Besetzung Ute Völker (Akkordeon), Karola Pasquay und Ortrud Kegel (Flöten), Gunda Gottschalk (Violine) und Thomas Beimel (Viola). Seit 1993 besteht ein enger Kontakt zur rumänischen Komponistenszene. So war etwa die 1997 im Alter von 66 Jahren verstorbene Myriam Marbe Lehrerin von Thomas Beimel.
Marbes 1985 geschriebene Sonata per due für Flöte und Viola fängt mit tonsprachlicher Anschaulichkeit, die aber nicht ins Plump-Vordergründige abgleitet, die bedrückende Stimmung der Ceausescu-Diktatur ein. Schrei, Klage und Stimmen sind die drei Sätze überschrieben.
Ulpiu Vlads Dincolo de Vise (Beyond dreams) beruht auf Erfahrungen des Komponisten mit rumänischer Volksmusik. Fasziniert haben ihn nicht nur nicht-temperierte Skalen und Verfahren der permanenten Variation, sondern vor allem der Respekt vor dem Augenblick, wie es im Beiheft heißt. Zu hören ist auf der CD Dincolo de Vise V, eine 2002 entstandene Fassung des Werks mit Mezzosopran (Elmira Sebat). Dem meditativen, ganz nach innen gekehrten Stück liegt ein generatives Improvisationssystem zugrunde, an dessen Ausarbeitung die Musiker von Partita Radicale beteiligt waren.
Auch den Entstehungsprozess von Uroboros II von Doina Rotaru hat das Ensemble schöpferisch begleitet. Im kreativen Austausch miteinander wurde eine orchestrierte Fassung von Uroboros, einem Duo für Querflöten, erarbeitet. Das ursprüngliche, organisch wuchernde Geflecht zweier Flötenstimmen schlängelt sich nun durch eine von Akkordeon und zwei Streichinstrumenten gebildete Klanglandschaft.
Mathias Nofze