Händel, Georg Friedrich

Rodelinda

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: Farao Classics D 108 060
erschienen in: das Orchester 09/2005 , Seite 95

Rodelinda, neben Giulio Cesare und Tamerlano zwischen 1724 und 1725 uraufgeführt, zählt zu Händels besten Opern, sowohl musikalisch als auch hinsichtlich des dramatischen Aufbaus. Die musikalische Dichte sorgt dafür, dass der schematische Ablauf von Rezitativ und Da-capo-Arie nicht langweilig wird; umso weniger, wenn es sich wie bei vorliegender Aufnahme um eine gelungene musikalische Interpretation handelt. Ivor Bolton sorgt für spritzige Tempi und klangliche Transparenz – wobei gelegentlich das allzu Forsche ins Ungenaue umschlägt, so einmal die nur noch gurgelnden Bässe in der Ouvertüre. Die stilsichere Tempowahl des nachfolgenden Menuetts aber ist umso bestechender und führt in die sonst tadellose Darbietung vorzüglich ein.
Der Dirigent hatte bereits mit dem Regisseur David Alden vor einigen Jahren Händels Ariodante erfolgreich zur Aufführung gebracht, sodass der förmlich geschmierte Ablauf von Musik und Inszenierung in dieser Produktion nicht Wunder nimmt. Was sich dagegen reibt und auch reiben soll, ist die Konfrontation des mittelalterlichen Sujets mit dem Gangstermilieu der 20er bis 50er Jahre. Die Mafia-Inszenierung erscheint insofern gewagt, als sie ihren Charakter dem Film verdankt, wo legendäre Klassiker wie Al Capone und Der Pate entstanden. In der Präsentation der Figuren ruft die Inszenierung eben jene Filmtypen auf, was zu Beginn etwas schief geht. Mögen Bühnenbild und vor allem die Beleuchtung in ihrer samtigen Strahlkraft eine überzeugende Atmosphäre vermitteln, einzig der Bösewicht Garibaldo (Umberto Chiummo) kann dem cool gewalttätigen Typus des Milieus schauspielerisch entsprechen.
Zum Glück besteht die Stärke der weiteren Inszenierung mehr in der spannungsvollen und sehr fein ziselierten Interaktion, wodurch die Sänger allmählich zu einem großartigen Schauspielensemble zusammenwachsen. Zudem durchbricht Alden die mafiöse Geschlossenheit mit der Figur des Untergebenen Unolfo, der, hervorragend besetzt mit Christopher Robson, als Witzfigur im Stil eines Heinz Erhardt fungiert und Außergewöhnliches vollbringt: wenn er seine Arie „Sono i colpi della sorte“ in Telefonkabeln verstrickt präsentiert oder im dritten Akt den Da-capo-Teil von „Un zeffiro spirò“ mit einer Zigarette im Mundwinkel darbietet. Überhaupt erzielt der Regisseur durch szenische Verschiebungen in den Da-capo-Teilen erstaunliche Veränderungen der dramatischen Situation, was die Musik stets in ein neues Licht rückt.
Dorothea Röschmann besticht von Beginn an durch spannungsvolles Ergriffensein. Rodelindas verletzter Stolz und ihr Wagemut, wenn sie vom Usurpator Grimoaldo fordert, nur unter der Bedingung seine Frau zu werden, wenn dieser ihren Sohn töte, werden mit einer erstaunlichen Beweglichkeit in der linearen Führung transportiert, mal geschmeidig leidend, dann wieder schleudert sie bedingungslos fordernd die melodischen Akzente heraus. In erster Linie aber ist das hervorragende Zusammenspiel aller Beteiligten hervorzuheben, sowohl in musikalischer als auch in theatralischer Hinsicht.
Problematisch wirkt neben dieser Glanzleistung gelegentlich die Bildregie. Brian Large verlegt sich mehr aufs Filmische und dokumentiert nur selten durch Totaleinstellungen das Bühnengeschehen. In der Fokussierung einzelner Darsteller gelingt Subtiles, wenn etwa vermittels der Schnitttechnik die Interaktion der Sänger in den Blick gerät; jedoch wird dieses Verfahren zu häufig angewandt, sodass bei den Arienvorspielen oft Bildsituationen von Leere und Unklarheit entstehen.
Steffen Schmidt