Köhler, Hans Joachim

Robert und Clara Schumann

Ein Lebensbogen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Kamprad, Altenburg 2006
erschienen in: das Orchester 04/2007 , Seite 82

Wiewohl vom omnipräsenten Mozart-Gedenken beinahe verdrängt, bot Robert Schumanns 150. Todestag im Jahr 2006 doch Anlass für einige Neupublikationen, darunter auch jene der Krankenakten, Briefe und Berichte aus der Zeit des Endenicher Siechtums 1854 bis 1856. Dass Schumanns körperlicher und geistiger Verfall auf Syphilis zurückzuführen ist, kann spätestens mit Blick auf die dort wiedergegebenen Fakten nicht mehr bestritten werden. Gleichwohl rief die Schonungslosigkeit dieser Feststellung selbst im Schumann-Jahr 2006 Debatten hervor, die einen Rezensenten der ZEIT zu der Bemerkung veranlasste, Schumanns eigener von Scham und Schuldgefühl geprägter Umgang mit dieser Tatsache habe sich offenbar immer wieder auf seine Verehrer übertragen.
Hans Joachim Köhler, Autor des vorliegenden Buchs, ist spürbar um Relativierung bemüht, wenn er schreibt, die Diagnose solle „nicht angezweifelt werden, lediglich – und das ist wichtig – das sichere Wissen Schumanns um dieses Übel“. Gewiss geht es Köhler nicht allein um die fatale Krankheit, doch beleuchtet des Autors Umgang mit dem Phänomen schlaglichtartig eine Position, die sich, so die Verlagswerbung, „wissenschaftlich auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes“ befindet, zugleich aber darum bemüht ist, den bzw. die „Helden“ nicht in schräges Licht rutschen zu lassen.
Kein unehrenhafter Standpunkt, wie denn die Publikation insgesamt hinsichtlich ihres Anspruchs und ihrer Detailliebe aller Ehren wert ist. Akribisch zeichnet Köhler unter Verwendung historischer Abbildungen und zahlreicher eigener Fotos den gemeinsamen Lebensweg Clara und Robert Schumanns bildnerisch nach. Dieser Teil des Buchs verdient fraglos Lob, ja, vielleicht hätte die Form eines kommentierten Bildbandes Köhlers Intention schlüssiger wiedergegeben.
In der vorliegenden textreichen Gestalt nämlich irritiert Köhlers Neigung zu Spekulationen und Subjektivismen ebenso wie eine Vorliebe für stilistische Geschraubtheiten in der Diktion altertümelnder Biografik. Oder glaubt der Autor, Schumanns psychischen Zustand zwischen den juristischen Widrigkeiten um die Eheschließung mit Clara Wieck und dem einsetzenden Produktivitätsschub des Jahres 1840 plausibel machen zu können mit Formulierungen wie: „Noch unter der eiskalten Gischt des Prozesses beginnt sich schon zu Anfang des Jahres in Schumanns erstarrter Seele eine warme Strömung zu regen.“?
Da der Verlag – ein im thüringischen Altenburg ansässiges Haus, dessen Programm überwiegend regionalen Bezug aufweist – nichts über seinen Autor mitteilt, sind wir auf Umwegrecherche angewiesen: Hans Joachim Köhler, Jahrgang 1936, wirkte als Professor für Musikwissenschaft in Leipzig. 1978 erhielt er den Schumann-Preis der Stadt Zwickau, daneben ist er als Herausgeber und Autor vieler Einzelartikel zu seinem Hauptforschungsgegenstand hervorgetreten. Im Untertitel seines Schumann-Buches – Leipzig würde da der Mittelpunkt sein – schwingt zweifellos auch ein autobiografisches Moment des Verfassers mit.
Gerhard Anders