Strawinsky, Igor / Silvestre Revueltas
Rite
Le Sacre du printemps / La noche de los mayas
Ich kenne das Stück schon sehr lange. Genau genommen habe ich es zum ersten Mal gespielt, als ich Geiger im Orchester meiner Heimatstadt war. Es war mein erstes Konzert als Mitglied dieses Orchesters. Ich war
damals 13 Jahre alt und damit auch der Jüngste im Orchester. [
] Es war einfach: Wow! Seitdem bin ich total verliebt in dieses Stück. Wir sehen: Zu Igor Strawinskys Sacre pflegt Gustavo Dudamel eine besondere Beziehung. Mittlerweile hat er das Werk als Dirigent oft aufgeführt, nicht zuletzt mit dem Simón Bolívar Youth Orchestra. Für ein technisch so brillantes Jugendorchester bedeutet es sicherlich eine Herausforderung, Strawinskys auch heute noch extrem anspruchsvolle Partitur zum Klingen zu bringen. Wie die jungen Venezolaner ihre Aufgabe meistern, lässt sich nun im vorliegenden Livemitschnitt aus Caracas begutachten.
Der Enthusiasmus der Musiker ist zweifellos in jedem Takt spürbar, und auf diese Weise wird zumindest eine Facette des Sacre mustergültig abgebildet: das Gestaltwerden frühlingshafter Energien. Eine beinahe improvisatorische Spontanität prägt manche Passagen, etwa den Danse de la terre am Ende des ersten Teils, den man selten so atemberaubend und quasi an der Stuhlkante musiziert zu hören bekommt. Der lyrische Beginn des zweiten Teils vermag aufgrund der liebevollen Behandlung, die ihm Dudamel und seine Musiker angedeihen lassen, ebenfalls zu überzeugen. Leider ist jedoch das Orchester recht entfernt abgebildet und der Klang ziemlich hallig.
Zieht man diesem Umstand die Tatsache hinzu, dass ungefähr 180 (!) Musiker mitwirken, so nimmt es nicht wunder, dass allzu viele Details unterbelichtet bleiben. Das betrifft sowohl die Orchestrierung (ausgerechnet das wichtige Schlagwerk ist größtenteils viel zu weit im Hintergrund angesiedelt!) als auch die geforderte messerscharfe rhythmische Präzision, wie man sie etwa bei Riccardo Chailly (Decca) und Igor Markevitch (Testament) finden kann. Der abschließende Danse sacrale verliert auf diese Weise empfindlich an Wirkung. Im Konzert mag der Spaß, den das Orchester an dieser Musik hat, die Freude daran, einmal so richtig Gas geben zu können, ansteckend gewirkt haben, aber auf CD teilt sich dies nur bedingt mit.
Demgegenüber feiern Dudamel und seine Musiker in Silvestre Revueltas postum aus einer Filmpartitur kompilierten Suite La noche de los mayas eine Sternstunde. Hier stimmt alles: Temperament, Rhythmusgefühl, Ensemblegeist. Im Finale darf die Schlagzeugbatterie zeigen, was in ihr steckt. Auch die Mariachi-Klänge des zweiten Satzes sind mitreißend realisiert. Und nicht zuletzt zeigt das Klangbild hier eine wesentlich stärkere Transparenz und Dynamik.
Thomas Schulz