Wagner, Richard
Rienzi
2 DVDs
Musikstunde im Obersalzberg. Mit dem Rücken zum Publikum sitzt der feiste, geschniegelte Diktator in weißer Uniform im Sessel seines granitenen Arbeitszimmers, den Blick gerichtet durch ein Panoramafenster auf verschneites Hochgebirge. Immer ekstatischer dirigiert er die Rienzi-Ouvertüre mit, sitzend, dann laufend, ja liegend in obszöner Haltung auf dem Schreibtisch, aber auch tanzend und Rad schlagend. Gernot Frischling gelingt diese akrobatisch-hochvirtuose Pantomime. Die beste Szene der ganzen Inszenierung. Mit ihr hat Philipp Stölzl sein Pulver schon verschossen.
Wagner hat mit seiner großen, tragischen Oper in fünf Akten, Rienzi (sein zu Lebzeiten größter Premieren-Erfolg, der 1842 als fast sechsstündiges Werk im Königlichen Hoftheater zu Dresden zum ersten Mal über die Bühne ging und den der Dirigent Hans von Bülow nicht ganz zu Unrecht einmal als Meyerbeers beste Oper bezeichnete), die einzige jungdeutsche Revolutionsoper geschrieben. Ein hochpolitisches Werk des deutschen Vormärz mit enormem Freiheitspathos und radikaler Kirchenkritik, eine Satire auf den Adel und auf die antiquierten politischen Verhältnisse in Deutschland. Eine Oper über Aufstieg und Fall eines charismatischen Politikers, der am Ende scheitert, wie alle Helden Wagners. Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Adolf Hitler diese Historienoper über den römischen Volkstribun zu seiner Lieblingsoper erklärte. Er kann sie kaum ernsthaft begriffen haben.
Zu Wagners Musik sieht man bei Stölzl Bilder aus Hitler-Deutschland, handwerklich souverän inszeniert und von Ausstatterin Ulrike Siegrist suggestiv bebildert. Aber Wagners radikal progressive, jungdeutsche Revolu-tionsoper gerinnt trotz ironischer Brechungen zur klischeehaften Nazi-Revue. Tableauhaft und in der Personenführung holzschnittartig inszeniert Stölzl Aufstieg und Fall Rienzis in Analogie zu Hitler. Was vielleicht kritisch gemeint ist, wirkt wie eine Apotheose der Hitler-Ästhetik. Erweist man da dem Führer nicht post mortem zu viel Ehre? Diese Inszenierung verdeutlicht beispielhaft das gestörte Verhältnis der Deutschen zu Richard Wagner als gestörtes Verhältnis zu ihrer Geschichte.
Torsten Kerl singt vor Albert Speers gigantomanischer Germania-Utopie das evergreenhafte Gebet des Rienzi. Er ist neben Kate Aldrichs Adriano der glaubwürdigste Sänger in einer ansonsten eher mittelmäßigen Besetzungsriege. Langatmig und plakativ-banal ist nicht nur das Dirigat von Sebastian Lang-Lessing, auch die Inszenierung wird einem lang, obwohl das Stück nur noch zweieinhalb Stunden dauert. Stölzl hat es um mehr als die Hälfte zusammengestrichen, um es in sein Interpretationskorsett pressen zu können. Es offenbart die ganze Absurdität des heutigen Blicks aus der Hitler-Perspektive von vorgestern.
Am Ende zeigt Stölzl den wahnsinnig gewordenen Diktator in Wochenschau-Pose huldvoll winkend: Hitler gleich Rienzi. Wieder einmal wird Wagner billig mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt. Und alle bornierten Vorurteile in Sachen Wagner werden wieder einmal bekräftigt. Ein deutsches Missverständnis, ja Ärgernis, diese Rienzi-Inszenierung.
Dieter David Scholz