Friedrich, Sven

Richard Wagners Opern

Ein musikalischer Werkführer

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: C.H. Beck, München 2012
erschienen in: das Orchester 07-08/2012 , Seite 69

Was ist schon alles für, gegen, über Richard Wagner geschrieben worden? Die Literatur-Regale bersten fast… Und nun noch ein Band? Überflüssig? Alles schon gesagt? Die Fragen lassen sich nur bedingt beantworten. Richtig ist aber: Sven Friedrichs „Werkführer“ ist ein kompakter, sachlicher, guter und aus der Sicht von heute ergiebiger Pro-Wagner-Reader, der auch das „Drumherum“ nicht denunziert, sondern ohne ideologische Scheuklappen Richard Wagners (Nach-)Wirken als Bereicherung für jeden Musik- und Kulturfreund schildert. So betrachtet der Autor auch das fast Vergessene (Rienzi, Feen, Das Liebesverbot zum Beispiel), ordnet die Bühnenwerke Genres oder Epochen zu (Romantik mit Tannhäuser, Lohengrin, Holländer, Musikdramen mit Tristan und Meistersinger, Parsifal als religiöses Drama). Im Mittelpunkt steht der 16-stündige, vierteilige Ring des Nibelungen. Über diese Ausnahmestücke schreibt Friedrich als Thema „Musikdrama und Politik“. Das besitzt zugleich historische und heutige Dimension. Die jüngsten Inszenierungen (auch in Bayreuth) haben zu dieser Wertung sicherlich gravierend beigetragen.
Dass er auch über Bühnenfassungen von Jesus oder von Kaiser Friedrich Barbarossa nachdachte, als er sich für Siegfried und den Ring-Mythos entschied, wird ebenfalls am Rande erwähnt. Es sind gerade diese kleinen Zusatzinformationen, die diese Publikation auszeichnen. Man merkt fast in jedem Kapitel: Friedrich ist vorzüglicher Kenner und Insider – kein Wunder, denn er leitet seit fast zwanzig Jahren das Richard-Wagner-Museum in Bayreuth. Hier kann er auch zu Musik, Rezeption, Biografie usw. nachdrücklich forschen.
Was das Buch außerdem lesenswert macht, ist seine Sprache. Friedrich vermeidet gekünstelte Konstruktionen, bleibt dicht am Thema und an Wagner. Ein Beispiel: Zur Götterdämmerung, dem Schlusstag des Bühnenfestspiels über Siegfried, Brünnhilde, Wotan, Erda und Co., schreibt er, die Götterdämmerung sei nicht nur der tragische Untergang einer Welt und ihrer Wesen, „sondern zugleich eine Parabel des Erwachens zu humanem Bewusstsein, Freiheit und eines Prinzip Hoffnungs auf Erlösung durch Liebe“. Auf diesem Aussage-Fundament kann jeder autonom weiter denken…
Auch die Schlussbemerkung Friedrichs zeigt in eine ähnliche Richtung, die sich allgemein nachvollziehen lässt: „Die universale Sinnhaftigkeit seiner mythischen Musikdramen und die Sonderstellung der Bayreuther Festspiele in der Theaterlandschaft […] lassen erwarten, dass Wagners Opern auch künftig einen bedeutsamen Beitrag zur kulturellen Sinnstiftung und gesellschaftlichen Identitätsbildung leisten können.“
Liest man unter diesen „Vorzeichen“ den Werkführer, dann erfährt der Interessent mehr als nur ein packend verschnürtes Paket als Inhalts- und Stichwortverzeichnis zu Richard Wagners Bühnendramen sowie seinen Lebensdaten. Sie zeigen direkt auf uns – wenn man ihre Musik, ihre Motivik, ihre Sprache und die Figuren als moderne Konzepte aus der Vergangenheit heraus versteht. Friedrichs Buch ist daher als Einsteiger-Kompendium über Wagner zu empfehlen.
Jörg Loskill