Friedrich, Sven (Hg.)

Richard Wagner – Werke, Schriften und Briefe

CD-ROM

Rubrik: CD-ROMs
Verlag/Label: Direct Media Publishing GmbH, Berlin 2004
erschienen in: das Orchester 02/2005 , Seite 76

Auf den ersten Blick erscheint es kaum glaubhaft: Die inzwischen unüberschaubar gewordene Literatur über Wagner beruht hinsichtlich der zitierten Schriften und Briefe auf einer dürftigen Grundlage. Während die Gesamtausgabe der musikalischen Werke, die auch die Dokumentenbände mit den verschiedenen Textstadien der Dichtungen umfasst, inzwischen zu großen Teilen vorliegt, ist die Briefausgabe – mit nicht unerheblichen Lücken für die ersten acht Bände – erst bei Band 14 und dem Jahr 1862 angekommen. Bei den Schriften muss gar auf die so genannte „Volksausgabe“, eine weder ganz vollständige noch heutigen Ansprüchen genügende Edition aus den Jahren 1911 bis 1914 zurückgegriffen werden.
Zu Recht unterstreicht der Herausgeber Sven Friedrich, Direktor des Wagner-Archivs in Bayreuth, in seinen Vorbemerkungen diese unbefriedigende Situation. Denn sie dämpft alle an den Titel geknüpften allzu hohen Erwartungen. Hier wird keine Gesamtausgabe der Text-Primärquellen im digitalen Medium vorgelegt und schon gar keine historisch-kritische Edition. Vielmehr charakterisiert Friedrich sein Projekt als möglichst umfassende Bereitstellung der aktuell zur Verfügung stehenden Textausgaben: „Die hier vorliegende Digitalisierung ist mithin nichts weiter als ein den heutigen technischen Möglichkeiten gemäßes Abbild einer hoffentlich repräsentativen Auswahl der vorhandenen gedruckten Quellen mit dem Vorzug eines computergestützten und damit schnellen Retrievals über große Textmengen.“
Ungeachtet dieser Einschränkung wird der Benutzer von der Fülle des Materials überwältigt. Mehr als 50000 Seiten (!) umfasst die Textsammlung, die nicht nur die zentralen Primärtexte, sondern auch die Biografien von Carl Friedrich Glasenapp und Martin Gregor-Dellin sowie dessen Bildmonografie von 1982 integriert. Im Einzelnen enthält die CD-ROM einerseits 13 Bände der Sämtlichen Schriften und Dichtungen, die Aufzeichnungen des so genannten Braunen Buchs, die Autobiografie Mein Leben und die Tagebücher Cosima Wagners (1869-1883) sowie andererseits große Teile des etwa 10000 Schreiben umfassenden Briefnachlasses. Bei dessen unumgänglicher Mischedition wird die chronologische Reihe der Sämtlichen Briefe bis 1862 durch die schon ältere Reihe der Briefe in Originalausgaben (u. a. die Briefe an die Freunde und Zeitgenossen, an die Künstler, an Mathilde und Otto Wesendonck sowie die Verlagsbriefwechsel mit Breitkopf & Härtel und Schott) sowie die Korrespondenzen mit Hans von Bülow, Franz Liszt, König Ludwig II. und Friedrich Nietzsche ergänzt.
So unbequem die Lektüre am Bildschirm auch sein mag, so nützlich erweist sich die CD-ROM, wenn es um das Ausdrucken und Abspeichern von Texten, vor allem aber um die Zeit sparende Suche nach Personen, Begriffen und Formulierungen geht. Die Recherche ermittelt die entsprechenden Textstellen nicht nur in ihrem Kontext, sondern auch unter Angabe der Original-Seitenzahl der Vorlage. Einziger Wermutstropfen: Innerhalb der Tagebücher Cosima Wagners wird die Orientierung durch die fehlenden Kopftitel mit der Jahresangabe erschwert. Fazit: Ein unverzichtbares Hilfsmittel für alle Wagner-Interessierten, das so manchen Gang zur Bibliothek überflüssig machen wird.
Peter Jost