Fischer, Jens Malte
Richard Wagner und seine Wirkung
Überschaubar ist die Zahl der Wagner- und Musikbuch-Autoren, deren Bücher man stets mit Gewinn liest und uneingeschränkt empfehlen kann. Für mich gehört Jens Malte Fischer dazu, der bis 2009 als Professor für Theaterwissenschaft in München wirkte, aber schon immer auch journalistisch gearbeitet hat. Er ist ein wichtiger Experte, was den Operngesang betrifft. Und er hat sich mit einschlägigen Publikationen auf ein Feld gewagt, das selbst heute noch mancher Wagner-Enthusiast lieber nicht beackert wissen wollte. Dabei hat Richard Wagner mit der zweimaligen Veröffentlichung seiner Schrift Das Judentum in der Musik ganz eindeutig den Sündenfall begangen, den im 19. Jahrhundert bereits salonfähigen Antisemitismus konkret auf das Musikleben zu beziehen.
Natürlich ist das auch ein Schwerpunkt in seinem neuen Buch Richard Wagner und seine Wirkung und im einzigen Originalbeitrag Wagners Wirkung bedenkend, der den neun bereits veröffentlichten, wo notwendig überarbeiteten Texten aus den Jahren 1984 bis 2007 in den vier Kapiteln vorangeht, die schön stabgereimt Aufführungspraxis, Antisemitismus, Ausstrahlung und Ausklang lauten. Der dem Jubiläumsjahr geschuldete Essayband ist mitnichten notgedrungen zusammengeschustert. Vielmehr gelingt dem Autor genau das, was er vorhatte: Das Buch will Facetten und Aspekte von Wagners Wirkungsgeschichte möglichst vielfarbig umreißen und pronociert zuspitzen.
Die Farbigkeit hat nicht nur mit den Inhalten zu tun, sondern selbst-
redend auch mit der Sprache. Jens Malte Fischer ist ein begnadeter Schreiber, der es mit scheinbar leichter Hand schafft, selbst aus den schlimmsten Satzungetümen in den theoretischen Schriften Wagners gut lesbar und verstehbar den Kern herauszufischen ohne selbst zu ideologisieren. Er doziert nicht, belehrt nicht, sondern offeriert eloquent ein reichhaltiges Material, über das sich jeder sein eigenes Bild machen kann und darf, angefeuert durch seine Zuspitzungen, die eine, seine klare Haltung spiegeln.
Polarisierung ist diesem Autor fremd. Zu Marc Weiners umstrittener These, wonach Wagners Antisemitismus sich zwangsläufig in seinen Musikdramen niederschlägt, liefert er einige Belege, Gedankenansätze und schließt mit der Forderung, dass dieses außerordentlich schwierige, aber auch dankbare und notwendige Thema noch einmal gründlich und grundsätzlich aufgegriffen werden muss. Dass er deshalb keineswegs Tomaten auf den Augen hat, wird spätestens klar, wenn er ausgerechnet der Wagner-Interpretation im Dritten Reich den künstlerisch hohen Rang nicht abspricht.
Wie Fischer Proben und Aufführungen der ersten Bayreuther Festspiele 1876 beschreibt, liest sich das weitaus spannender, als es bei Richard Fricke, Julius Hey, Richard bzw. Cosima Wagner steht, seine Geschichte des Wagner-Gesangs hat sowieso den Rang einer Pflichtlektüre. Dass seine Essays über verkannte Opern der Wagner-Nachfolge ernst genommen worden sind, lässt sich vereinzelt an überraschenden Spielplänen ablesen. Und sein fiktives Gespräch zwischen Wagner und Gustav Mahler ist ein Musterbeispiel dafür, wie man auch in den monumentalen Schatten, den der Granitfelsen Wagner wirft, einige aufhellende Lichtschneisen schlagen kann.
Monika Beer