Bermbach, Udo

Richard Wagner in Deutschland

Rezeption – Verfälschungen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Metzler, Stuttgart 2011
erschienen in: das Orchester 12/2011 , Seite 69

Der Untertitel von Udo Bermbachs neuem Wagner-Buch „Rezeption – Verfälschungen“ zeigt die Richtung, in die die analytischen Betrachtungen des Autors gehen. Nach „Blühendes Leid“ – Politik und Gesellschaft in Richard Wagners Musikdramen und Der Wahn des Gesamtkunstwerks, das sich mit der politischästhetischen Utopie des Komponisten befasst, bildet Richard Wagner in Deutschland den Abschluss einer höchst kenntnisreich geschriebenen Trilogie. Akribisch zeichnet Bermbach die teilweise schleichenden Veränderungen nach, die über Uminterpretationen bis hin zu Verfälschungen im Laufe der Zeit von den für die Wagner-Gemeinde einflussreichen Bayreuther Blättern und ihrem ideologischen Umfeld angestoßen wurden. Es ist eine nationalistisch-völkische, ab den 1920er Jahren auch unappetitlich braune Soße, durch die sich der Autor stets mit größter Genauigkeit hindurchzuarbeiten hatte.
Dass die politische Rezeption des Wagner’schen Denkens – oder was viele seiner Anhänger dafür hielten – auch Auswirkungen bis hin nach
Paraguay hatte, zeichnet der renommierte Autor in einem lesenswerten Kapitel über Bernhard Försters von Bayreuth inspirierter Utopie „Nueva Germania“ nach. Sie scheiterte schon nach zwei Jahren an den praktischen Voraussetzungen einer Utopie, die davon ausging, einer aus Sicht des Schwagers von Nietzsche verdorbenen Moderne, die unter jüdischem Einfluss steht, einen rassistisch-antisemitischen Gegenentwurf entgegensetzen zu können.
Wie ein roter Faden zieht sich durch Bermbachs Untersuchung der Ideologie der von Hans von Wolzogens und des Rasse-Theoretikers Houston Stewart Chamberlain immer stärker geprägten Bayreuther Blätter – die von 1878 bis 1938 angeblich das Gedankengut Wagners weitertragen sollten – ein immer stärker werdender rassistisch unterfütterter Antisemitismus, der sich trotz der antisemitischen Züge (Das Judentum in der Musik) im Schaffen Wagners in dieser Form nicht findet. In Verbindung mit der Ablehnung aller Veränderungen, die durch die als bedrohlich erlebte Moderne ausgelöst wurden, aber auch des Politischen, besonders in seiner demokratischen Ausformung, werden so die revolutionären Ideen Wagners aus seiner Dresdner Zeit und den Züricher Kunstschriften immer mehr verdrängt und verfälscht.
Die Begeisterung für Wagners musikdramatisches Schaffen lässt Bermbach aber nicht distanzlos werden. Die Grundlagen, die Wagner für Verfälschungen gelegt hat, werden immer wieder angesprochen, aber beispielsweise die Konstruktion eines „arischen Jesus“, wie er von den Trägern des „Bayreuther Gedankens“ versucht wurde, hat mit Wagners Intentionen kaum mehr etwas zu tun. Geradezu vernichtend geht Bermbach mit gedanklichen Verkürzungen und historischen Vereinfachungen bei Joachim Köhler (Wagners Hitler) um. Dass auch in den 1950er Jahren im Neu-Bayreuth Wieland Wagners noch viele NS-belastete Autoren wieder zu Programmheft-Ehren kamen, ist indes eine erstaunliche Erkenntnis des Bandes. So sachlich und differenziert, detail- und kenntnisgenau ist selten über die schwierige Materie der Umdeutungen des Denkens Wagners zu lesen.
Walter Schneckenburger