Werner, Philipp (Hg.)

Richard Wagner

Ausgewählte Schriften und Briefe

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Fischer, Frankfurt am Main 2013
erschienen in: das Orchester 09/2013 , Seite 68

Richard Wagner ist der wohl widersprüchlichste Künstler der neueren Kulturgeschichte. Sein Leben und sein Werk zeichnet sich durch die Gleichzeitigkeit des Ungleichen aus. Wagner war Bohemien und Bürgerschreck, Revolutionär und Königsfreund, Romantiker und Anarchist, Chauvinist und Kosmopolit, Vorreiter der Moderne und Reanimator des antiken griechischen Theaters zugleich. Diese Vielschichtigkeit hat bis heute jede sachliche Auseinandersetzung mit ihm erschwert. Was Wunder, dass nur über wenige Gestalten der Weltgeschichte so viel geschrieben wurde wie über Richard Wagner. Doch schon Cosima Wagner notierte in ihrem Tagebuch vom 29. März 1878: „R. drückte sein Erstaunen gestern darüber aus, daß, trotzdem er so bemüht sei, die Leute immer mehr die Sachen über ihn läsen als seine eigenen.“
Dem will der von Philipp Werner herausgegebene Band mit ausgewählten Schriften und Briefen Wagners entgegenwirken. Er enthält eine sehr repräsentative Auswahl aus Wagners Sämtlichen Schriften und Dichtungen, die 16 Bände umfassen, und Wagners Sämtlichen Briefen, die in den 35 Bänden (von denen bisher 19 erschienen sind) an die 10000 Briefe umfassen. Es geht dem Herausgeber darum, so etwas wie ein „Kaleidoskop“ der „Bausteine von Wagners Denken“ vorzulegen, in dem sich „immer neue Figuren aus dem, was von Beginn an da war und bleibt“ offenbaren. Die Kompilation versteht sich zu Recht als „Lesebuch“ und „Einladung, Facettenreichtum und Bandbreite des Schriftstellers Richard Wagner zu entdecken“, der zu Recht über sich selbst sagte: „Bei mir ist der Akzent auf die Vereinigung des Dichters und des Musikers zu legen, als bloßer Musiker hätte ich nicht viel zu bedeuten.“
Die naturgemäß lückenhafte, selektive und subjektive Auswahl aus Wagners Texten widerlegt eindrucksvoll das Diktum Thomas Manns, man könne „aus Wagners Schriften nicht viel über Wagner lernen“. Im Gegenteil: Sowohl die Schriften als auch die Briefe des Bandes dürfen als beredte „Protokolle seiner künstlerischen Selbstfindung und Überbau eines Werks“ verstanden werden. Sie sagen sehr viel über Wagner und sein Werk aus, sowohl die frühen essayistischen und autobiografischen als auch die späten Texte mit „dramaturgischen, aufführungspraktischen und theatertheoretischen Fragestellungen“, die Zürcher revolutionären Kunstschriften als auch die späten Begleitschriften zum Parsifal.
Wagners „hartnäckiges publizistische Insistieren lässt sich heute – gerade mit dem Wissen um ihren nachmaligen Erfolg – als Lehrstunde in Sachen Ego-Marketing, Fundraising und Crowdfunding lesen“, wie der Herausgeber zu Recht anmerkt. Für alle, die Wagner jenseits seiner bis heute verführerischen, ja narkotisierenden Musik als Schriftsteller, der er ja auch war, näher kennen lernen möchten, aber Anschaffung und Lektüre des umfangreichen Schrifttums Wagners scheuen, eine wirklich lohnens- und preiswerte Alternative.
Dieter David Scholz

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