Vazsonyi, Nicholas

Richard Wagner

Die Entstehung einer Marke

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Königshausen & Neumann, Würzburg 2012
erschienen in: das Orchester 02/2013 , Seite 58

Richard Wagner: Egozentriker, Größenwahnsinniger? Dieser psychologischen Lesart stellt Nicholas Vazsonyi eine andere gegenüber. „Anstatt sein Handeln als Ausdruck eines Persönlichkeitsdefekts zu werten“, schreibt Vazsonyi in seinem in der Reihe „Wagner in der Diskussion“ erschienenen Buch, „schlage ich vor, Wagners Bemühen, ein Image zu erzeugen und seine Werke als Paket zu präsentieren, ernst zu nehmen.“
Vazsonyi, der an der University of South Carolina im US-Bundesstaat Columbia Germanistik lehrt, nutzt dafür das Instrumentarium eines „Branding“-Experten. Wagner war demnach einer der ersten Künstler, der als sein eigener Kreativ-Direktor und Marketing-Beauftragter auftrat. Er erfand die Marke „Wagner“ und beherrschte den Diskurs über seine Person und seine Kunst wie heute Politiker oder Popstars.
Fünf Handlungsfelder beschreibt Vazsonyi, die Wagner, meist gleichzeitig, beackerte: „Image“, „Publicity“, „Marke und Nischenbildung“, „Konsumenten und Konsum“ sowie „Zentrale“, genauer „Firmenzentrale“. Gemeint sind das Bayreuther Festspielhaus und die Villa Wahnfried als Orte der „Sinnproduktion“, die nicht zuletzt Wagner-Vereine („Fanclubs“) und Andenken („Fanartikel“) hervorbringt.
Eine Schlüsselrolle bei der lebenslangen Selbstinszenierung spielt Wagners Aufenthalt in Paris in den Jahren 1839 bis 1842. In Artikeln über das Musikleben zeichnet er das Bild einer nur am Geld orientierten, geistlosen und oberflächlichen Metropole. Vor diesem Hintergrund erfindet sich Wagner als „armer, deutscher Komponist“, der nur den Idealen der reinen Kunst nachstrebt. Damit, so Vazsonyi, bereitet er bereits die „Marktnische“ für das Produkt Ring des Nibelungen vor.
Öffentliche Wirkung, „Publicity“ also, verschaffte sich Wagner in seiner Zeit als Dresdner Kapellmeister. Die Überführung der sterblichen Überreste von Carl Maria von Weber von London nach Dresden im Jahr 1844 – Wagner hielt die viel beachtete Grabrede – und die Aufführung von Beethovens 9. Symphonie (1846) ermöglichten es ihm, sich erneut als „echter, deutscher Künstler“ sowie als Testamentsvollstrecker von Beethoven ins Gespräch zu bringen.
Mit einer jahrelangen publizistischen Offensive bereitet Wagner dann sein „Kunstwerk der Zukunft“, sprich, das Musikdrama vor und schraubt damit die Erwartungen des Publikums in die Höhe. In diesem Zusammenhang deutet Vazsonyi auch die Schrift Das Judentum in der Musik als Teil einer wohlkalkulierten Öffentlichkeitsarbeit, nicht, wie meist, als Resultat persönlicher Kränkung.
Vazsonyis Ansatz bringt erfrischend neue Perspektiven hervor. Die Leitmotive nehmen die modernen „Soundbites“ vorweg, Theodor Uhlig und Franz Liszt werden zu Wagners „Werbeagenten“, die Meistersinger zum „Infomercial“. Fazit: Wagner geriert sich als Anti-Kommerz-Künstler – und nutzt clever die Mechanismen der Konsumgesellschaft. Dass im Taktiker Wagner auch ein Künstlerherz schlug, bestreitet Vazsonyi nicht. Er beklagt jedoch die „leidige Angewohnheit der Forschung, die pragmatische Seite von Wagners Engagement zu ignorieren“.
Mathias Nofze

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