Voss, Egon
Richard Wagner
Es gibt abgesehen von den etwa anderthalb Metern literarischer Werke von Wagner auch meterweise Literatur über Wagner. Insofern fragt man sich angesichts noch einer weiteren Wagner-Biografie auch spontan, ob das denn nun wirklich sein müsse?
Kurz: Nein. Muss es nicht. In diesem Wagner-Bändchen steht nichts Wesentliches, was nicht in den anderen Büchern über Wagner oder bestimmte Aspekte seines Schaffens nicht auch zu finden wäre, und wer sich wirklich in den Komponisten und sein Werk vertiefen möchte, wird auch weiterhin zu den ausführlicheren Büchern von Martin Gregor-Dellin, Joachim Köhler, Carl Dahlhaus und anderen greifen. Wer aber gerade keine Lust (oder Zeit) hat, 800 Seiten zu durchforsten, wer gerne einfach einen kurzen Überblick darüber gewinnen möchte, wer dieser Richard Wagner denn war und was ihn antrieb, oder wer nach langen wagnerlosen Jahren das einstmals aus der ausführlichen Literatur gewonnene Wissen schnell und effektiv wieder auffrischen möchte, der liegt mit diesem Buch absolut richtig und sicherlich weit besser als mit den meisten anderen Kurzbiografien.
Egon Voss, als editorischer Leiter der Richard-Wagner-Gesamtausgabe zweifelsohne als kompetenter Wagner-Kenner ausgewiesen, beginnt diese Biografie eigentlich mit einer Rechtfertigung: Ja, Wagner war ein Antisemit aber kein fanatischer, und auch keiner, der seiner theoretischen Idee von der Ablehnung des Judentums auch praktische Konsequenzen folgen ließ. Ohne zu schönen stellt Voss einigen der immer wieder zitierten Aussagen Wagners nüchtern Fakten und Daten aus dessen Leben gegenüber, die sein relativ unverkrampftes Verhältnis zum Judentum in der Praxis zeigen.
Im zweiten Kapitel (von insgesamt elf) beginnt die Biografie. Die Kapitel umfassen dabei immer einige Jahre, die unter einem jeweils klug gewählten Zitat von Wagner oder aus seinem Umfeld subsumiert sind: Wie sah mein Vater wohl aus?, heißt es da beispielsweise und weißt auf die Wagner lebenslang beschäftigende Frage hin, von wem er denn nun abstamme. Hier wo mein Wähnen Frieden fand ist das letzte Kapitel überschrieben, in dem Wagners in Bayreuth verlebte Jahre geschildert werden in denen eine gewisse Ruhe in seine Unstetheit einkehrte.
Das alles ist detailliert, aber nie ausufernd geschildert, sehr klar dargestellt und gut zu lesen übrigens in alter Rechtschreibung. Voss schildert die Ereignisse und leitet sie aus Fakten und Hintergründen her, zeigt Zusammenhänge auf, ohne sich in Spekulationen zu verlieren. Folglich geht er auch auf die Anstöße zu und die Entstehungsgeschichte von Wagners Werken ein, verzichtet aber auf musikalische Analysen und Beschreibungen.
So kann sich hier jeder Wagner-Einsteiger ein aussagekräftiges Bild des Meisters machen, ohne sich gleich durch die Harmonik des Tristan kämpfen zu müssen, und der Profi hat eine Lektüre zur Hand, die gerade für die zwei Pausen des Parsifal reicht, ihn in ihrer Fundiertheit aber sicher nicht langweilen wird.
Andrea Braun


