Hansen, Walter

Richard Wagner

Biographie

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: dtv, München 2006
erschienen in: das Orchester 10/2006 , Seite 91

Dieses Buch ist so überflüssig wie ein Kropf. Dass es nichts Neues beizutragen weiß, wird man vielleicht nicht anders erwarten können, doch die vielen Ungenauigkeiten und Halbwahrheiten müssten nicht sein. Sein Hauptfehler ist, dass es sich überwiegend auf eine Paraphrase von Wagners Autobiografie Mein Leben beschränkt, was heißt, dass es allzu häufig und unkritisch Wagners Sicht der Geschehnisse übernimmt. Wer sich auf die Autobiografie stützt, hat zu bedenken, dass sie erst ab 1865 entstand und entsprechend der zeitliche Abstand zwischen den Ereignissen selbst und ihrer Schilderung in Rechnung zu stellen ist. Ganz abgesehen davon, dass Mein Leben für Ludwig II. verfasst und noch dazu Cosima von Bülow in die Feder diktiert wurde, was zusätzlich und mit Notwendigkeit von gravierendem Einfluss auf Darstellung und Sichtweise war. Zwar fehlt bislang die dringend benötigte Kritische Ausgabe von Mein Leben, sodass jeder, der sich damit beschäftigt, selbst kritisch lesen muss, aber einige Zurechtrückungen und Entmythologisierungen hat die Forschung doch inzwischen erbracht.
Davon allerdings weiß unser Autor nichts. Er kennt die neuere Literatur nicht und ist entsprechend nicht auf dem neuesten Stand der Forschung. Das Literaturverzeichnis belegt das mit entlarvender Schonungslosigkeit. Entsprechend bindet der Autor dem Leser so manchen Bären auf, z.B. den, dass von Wagners dramatischem Erstling, den er bezeichnenderweise irreführend Leubald und Adelaide nennt, „nur Bruchstücke erhalten“ geblieben seien. In dem seit 1986 vorliegenden Wagner-Werk-Verzeichnis hätte er sich vergewissern können, dass Leubald – dies der richtige Titel – sehr wohl vollständig erhalten ist, und wenn er nur ein wenig bibliografiert hätte, wäre er auch darauf gestoßen, dass das gesamte Stück seit 1988 im Druck vorliegt.
Doch damit nicht genug. Die Inhaltsangaben der frühen Opern sind so fehlerhaft, dass man annehmen muss, der Autor habe deren Textbücher gar nicht gelesen, sondern seine Kenntnis aus der Sekundärliteratur bezogen, gemäß Wilhelm Buschs bekannter Formel: „Er sitzt an seines Tisches Mitte, liest zwei Bücher, schreibt das dritte.“
Ignoranz und mangelnde Kenntnis sind – und dies ist vielleicht das Schlimmste an der Sache – auch noch mit Dreistigkeit gepaart. Johann Gustav Gottlieb Büschings 1823 unter dem Titel Ritterzeit und Ritterwesen publizierte Vorlesungen über mittelalterliche Literatur, das Buch eines anerkannten Gelehrten und Breslauer Universitätsprofessors, dem Wagner das Sujet zu seiner Oper Die Hochzeit entnahm, wird kurzerhand als „historisierende Schnulzensammlung“ (S. 46) bezeichnet. Angesichts solcher Unverschämtheit schlägt man das Buch endgültig zu.
Egon Voss