Ender, Daniel

Richard Strauss

Meister der Inszenierung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau, Wien 2014
erschienen in: das Orchester 07-08/2014 , Seite 69

Er war der meistgespielte lebende Komponist des 20. Jahrhunderts; er ging bis an die Grenzen der Tonalität und wurde dadurch zum Wegbereiter der Moderne; ab einem gewissen Punkt wollte er diesen Weg jedoch nicht weiter gehen und fand zur Dur-Moll-Tonalität zurück. Doch darum geht es in Daniel Enders Buch über Richard Strauss nur am Rande. Im Untertitel heißt es nämlich „Meister der Inszenierung“. Das Buch will „keine klassische Biografie“ sein, sondern will aufzeigen, inwieweit Strauss sich selbst und sein Werk perfekt vermarkten konnte. Kein Komponist vor ihm hat es schließlich auch nur annähernd so gut verstanden, sich in diesem Maß in Szene zu setzen und bei Presse und Publikum Neugier und Erwartungen im Hinblick auf seine neuesten Werke bereits vor den Uraufführungen zu wecken: Hier ein Interview in der Presse, dort ein erklärender Text oder ein Statement, und man fieberte der ersten Aufführung entgegen.
Durch geschickte Auswahl unzähliger Quellen und Zitate versteht es Ender, dem Leser diese Aspekte nahe zu bringen. Schließlich ging es dem Komponisten ja nicht nur um Publicity, sondern natürlich auch um daraus resultierende optimale Verdienstmöglichkeiten. Für den Musikschriftsteller Paul Bekker war er „der Großindustrielle, der Musikkönig im amerikanischen Sinne“. Er war der erste Komponist und Dirigent, der ausgedehnte internationale Gastspiel-Tätigkeiten unternahm und durch Teilnahme bei Musikfesten seine Bedeutung unterstrich. Manchmal dirigierte er Konzerte ohne Honorar und verstand dies als Werbung in eigener Sache, um woanders desto höhere Gagen zu verlangen. „Wenn man meine Forderungen erfüllt, ist Berlin jetzt noch praktischer für mich, um meinen Namen in Europa noch eine Zeitlang mehr auszubreiten…“
Interessant sind auch Strauss’ Reaktionen auf Kritiken: Meist deutet
er sowohl gute als auch schlechte Kritiken jeweils als Bestätigung für sich, wie aus Briefen an seinen Vater hervorgeht. Doch nicht nur über den PR-Experten Richard Strauss erfährt man aufschlussreiche Details in Enders Buch, das man auch als Rezeptionsgeschichte der Strauss’schen Werke sehen kann. Es wird nicht zuletzt besonders dort interessant, wo es um die Beurteilung der „Modernität“ seiner Werke geht. Ausführlich geht Ender auf die nicht unumstrittene Rolle von Strauss im „Dritten Reich“ ein und zeigt auf, warum man ihn wirklich nicht als „unpolitisch“ ansehen kann. Gleichzeitig verurteilt er ihn aber nicht, sondern stellt Sichtweisen aus unterschiedlichen Perspektiven einander gegenüber.
An manchen Stellen des Buchs würde man sich ein genaueres Aufzeigen von Querbezügen zwischen Werk und biografischen Umständen wünschen. Zum Beispiel bei dem 1938 uraufgeführten Friedenstag, dessen Inhalt sowohl Nazis als auch Pazifisten jeweils im Sinne ihrer Sache für sich auslegten. Auf jeden Fall ein interessantes Buch, nicht nur zum Strauss-Jahr 2014.
Thomas Lang