Donizetti / Rossini / Verdi / Puccini / Poulenc

Riccardo Muti at La Scala

"Moïse et Pharaon", "Don Pasquale", "Otello", "Manon Lescaut" und "Dialogues des Carmélites"

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: Arthaus Musik Opera Edition 107 543
erschienen in: das Orchester 10/2014 , Seite 79

Zweieinhalb Jahrzehnte wirkte Riccardo Muti an der Mailänder Scala, davon knapp 20 Jahre als musikalischer Direktor. Es war eine glanzvolle Ära, bestimmt von zahlreichen unvergesslichen Neuproduktionen, die nur unschön ausklang, als sich der Weltklassedirigent kurz nach der feierlichen Wiederöffnung der Scala 2005 im Zuge von Streitigkeiten gezwungen sah, das Haus zu verlassen. Die vorliegende Edition dokumentiert Mutis Vielseitigkeit und bewegte Zeiten in der Geschichte der Scala. Mit einer guten Balance zwischen populären und weniger bekannten Repertoirestücken bietet sie zudem eine repräsentative Rückschau auf diesen vielleicht bedeutendsten Abschnitt in der musikalischen Laufbahn des Taktstock-Giganten.
Verdi, Mutis Lieblingskomponist, ist mit dessen Alterswerk Otello vertreten. Die Aufnahme aus dem Jahr 2001 gilt zu Recht als eine der besten. Der 60-jährige Placido Domingo, bis dato schon ein Vierteljahrhundert lang der international führende „Moro di Venezia“, verkörpert diese Figur hier zum letzten Mal und vielleicht ergreifender denn je in der Wandlung vom majestätischen Patriarchen zum hasserfüllten Monster. Eine Sensation auch Leo Nucci, ein süffisanter, geradezu widerwärtiger Jago zum Fürchten. Wie kein Zweiter versteht sich Muti auf die gewaltige Dramatik dieser Oper, die schaurig über einen hereinbricht, wenn Jago diabolisch über seine Erfolge triumphiert oder Othellos Eifersucht in Raserei kulminiert.
Die Box feiert jedoch nicht nur den Dirigenten Muti, sondern auch die Autorität eines Künstlers, der absurde Regie-Einfälle nicht duldet und deshalb die Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten sucht. Die Aufführungen belegen, dass sich lebendiges Musiktheater und eine stilsichere historische Ausstattung nicht zwangsläufig ausschließen. Von wegen verstaubt oder altmodisch: In einer Aufführung von Puccinis Manon Lescaut (1998) leidet man stärker mit dem Liebespaar mit als in so manch jüngerer Inszenierung und ist dankbar für eine auch äußerlich attraktive Manon (Maria Guleghina), der man ihre viel gerühmte Schönheit abnimmt. Vor allem aber meistern Regisseurin Liliana Cavani und Riccardo Muti den schmalen, schwierigen Grat zwischen Gefühl und Pathos.
Wie sein Vorgänger Claudio Abbado machte sich Muti gern auch für Raritäten stark. Eine kostbare Entdeckung in dieser DVD-Sammlung, rundum grandios umgesetzt, beschert Rossinis biblisches Drama Moïse et Pharaon, das viel zu selten aufgeführt wird, obwohl es mit seinen judenfeindlichen Arabern unverhofft aktuell anmutet. Regisseur Luca Ronconi stellt das elegant mit subtil verschlüsselten Anspielungen heraus.
Die jüngste Produktion aus dem Jahr 2004, Poulencs Dialoge der Karmeliterinnen mit einer umwerfenden Anja Silja als Klostervorsteherin Madame de Croissy, und ein höchst charmant inszenierter Don Pasquale runden eine dankbare Edition ab, die im Erinnern an große, goldene Opernzeiten allerdings auch ein wenig wehmütig stimmt.
Kirsten Liese