Mozart, Wolfgang Amadeus

Requiem KV 626 und Ave verum KV 618

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Classical 88765482312
erschienen in: das Orchester 10/2014 , Seite 72

Die Frage stellt sich immer wieder, vor allem dann, wenn ein Klassik-Renner zum x-ten Mal „neu“ auf den Markt geworfen wird: Warum diese zusätzliche Aufnahme, wenn doch frühere CD-Versionen nahezu alle Qualitäten des Werks bereits dokumentierten? Und die Antwort der „Macher“ ist auch fast überall identisch: Wir fassen all das zusammen, was den heutigen Stand der Musikwissenschaft und der Musikgeschichte auszeichnet. Also gewissermaßen beruft sich (auch) diese Fassung, für die Robert D. Levin verantwortlich ist, auf den aktuellen „Best-of“-Standard.
Um dieses Opus KV 626 ist schon so viel gerätselt, analysiert, behauptet und erläutert worden, dass man sogleich fragt, was denn nun „anders“ oder „endgültig“ sein soll. Zur Vorgeschichte: Mozart starb über der
Arbeit an diesem Opus magnum. Das Lacrimosa begann er noch, sein Schüler und Assistent Franz Xaver Süßmayr vollendete es 1792. Um es dem Auftraggeber Graf Walsegg-Stuppach „ordnungsgemäߓ zu übergeben, wurde von Mozarts Ehefrau Constanze die Unterschrift des Komponisten für die Authentizität der Niederschrift posthum gefälscht… Süßmayr ergänzte jeweils auf der Basis der zumindest stichpunktartig erhaltenen Aufzeichnungen und Musikgedanken Mozarts diesen Torso einer oft dramatischen Totenmesse – hat Mozart sie als seinen Tod erahnender Musiker für sich selbst verfasst? Diese Frage begleitet die Rezeption bis auf den heutigen Tag. Um genauer zu werden bei Süßmayrs Anteil: Tonart, teilweise Notation, Satzlänge, Struktur, Textzuordnung und Materialsubstanz lagen vor. Die Instrumentierung jedoch übernahm weitestgehend Mozarts Adlatus.
Robert D. Levins Fassung aus dem Mozart-Jahr 1991 vertraut weitgehend dem Süßmayr-Material, schärft (z.B. bei den Bläsern) gelegentlich den Duktus der Stimmen, verändert auch die Streicher-Intensität. Die Folge: Der Klang wird entschlackt und wirkt insgesamt in den letzten Sätzen offener und schlanker. Levins größter Eingriff: Der Musikwissenschaftler hängt beim Lacrimosa eine Fuge an, die er beim Durchforsten der Originalunterlagen als Fragment entdeckt hat. Er argumentiert auch mit dem Hinweis, dass nun – nach seiner behutsamen Rekonstruktion/Ergänzung – jeder Abschnitt des Requiems mit einer Fuge im Mozart’schen Idiom logisch abgeschlossen wird. So würden die Proportionen für das Gesamtwerk gestärkt werden.
Beim Hören des Requiems, dem bei dieser CD noch das populäre Ave verum folgt, kann man diese Zusätze und Änderungen nur bedingt wahrnehmen. Das wiederum kann man auch als Kompliment für Levins Mühe erachten: Er bleibt mit jeder Note, jeder Farbe ganz im Geiste Mozarts. Und das gilt auch für Alexander Liebreichs Dirigat mit dem stets präsenten, niemals „satt“ auftrumpfenden Münchener Kammerorchester und den Wohllaut der Vokalsolisten: Deshalb kann sich diese CD im Vergleich mit den vielen anderen Einspielungen bestens behaupten. Es war also kein Fehlgriff, die x-te Version des Requiems in den Ring zu werfen. Mozart-Fans werden sie vermutlich sehr gern auflegen.
Jörg Loskill