Mozart, Wolfgang Amadeus
Requiem KV 626
SmWV 105, Neuausgabe nach den Quellen von David Black, Partitur
Urtextausgaben, so die Definition, halten sich konsequent an den Notentext, den der Komponist selbst hinterlassen hat. Solche Editionen sind in den allermeisten Fällen sinnvoll, da Musikwerke vom Mittelalter bis in die Romantik häufig anders gedruckt wurden, als sie die Manuskripte überlieferten. Je weiter man in der Zeit zurückgeht, umso dringender schien die vermittelnde Aufgabe des Verlegers, alte Werke der Gegenwart zugänglich zu machen, und zwar in einer Sprache, die problemlos von jedem verstanden würde. So hielten es die Koryphäen des frühen 20. Jahrhunderts noch für nötig, etwa die Werke Bachs und Händels in praktischen Ausgaben herauszubringen, um Aufführungen nach modern empfundenen Standards zu ermöglichen. Zeitgemäße Verbesserungen (nicht nur der Instrumentierung) wurden angebracht mit dem Ziel, den Musikern und Chören den Zugang zu erleichtern. Heute sieht man das anders, und etwa Bach ohne kritische Urtextausgabe und historisch informierte Musiker aufzuführen scheint ein No go.
Wie aber verhält es sich bei Mozarts Requiem? Die Umstände seiner Entstehung und Vollendung sind ein historisch komplex untersuchtes, anekdotenreich kolportiertes und auch von namhaften Künstlern sorgfältig durchwühltes Mienenfeld der Musikgeschichte. Dabei das populäre Kirchenwerk einzig auf jene Fragmente zu reduzieren, die Mozart selbst hinterlassen hat, wäre absurd. Doch die Versuche, das Werk zu vollenden, unter denen Franz Xaver Süßmayr eine erste Komplettierung gelang: Zählen diese auch zum Urtext einer Totenmesse, zu der Mozart selbst weniger als die Hälfte beigetragen hat? Und wie steht es gerade im Fall Süßmayr mit der qualitativen Bewertung des Hinzukomponierten, das nicht erst in neuerer Zeit in seinen Schwächen erkannt und sanft korrigiert wurde, sondern auch schon von Brahms, Strauss oder Bruno Walter?
David Black (Cambridge) hat sich bei der Urtextausgabe für die Edition Peters darauf konzentriert, Süßmayrs Ablieferungspartitur zu edieren und zwar in einer Form, die dessen Ergänzungen leicht erkennbar macht. Es handelt sich um die Partitur, die dem Auftraggeber Graf Wallsegg 1792/93 übergeben wurde. Nebenquellen sind die Arbeitspartitur Mozarts (ohne Eyblers Ergänzungen) sowie zeitgenössische Stimmenabschriften aus Kremsmünster (1796) und der Erstdruck von 1800. Die Peters-Neuausgabe löst im gleichen Haus die von ca. 1959 ab. Sie übernimmt auch die (sehr wenigen) Änderungen, die Süßmayr gegenüber Mozarts Handschrift vornahm, und reinigt den Notentext von allen nachfolgenden, zum Teil umstrittenen, aber auch positiv aufgenommenen und in die musikalische Praxis eingeflossenen Nachbesserungen, wie sie etwa Franz Beyer vornahm. Längst wurden diese von renommierten Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt akzeptiert.
Mozarts Requiem ist eines der meistaufgeführten Kirchenmusikwerke überhaupt. Die Praxis wird zeigen, welche der vorliegenden Ausgaben sich durchsetzt. Diese Neuedition ergreift Partei für Süßmayr und stärkt seine Position im Streit um das wahre Requiem, der damit aber sicher nicht beendet sein wird.
Matthias Roth